„Statistikschwachsinn“ trifft es wohl am besten. Die Umschreibung von Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, zur Berechnung der Regelsätze beim Bürgergeld für Kinder ist wenig freundlich. Doch wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Realität kurzerhand ausblendet und blind nach Datenlage agiert, darf man durchaus ungehalten sein. Denn hier geht es um Menschen und ein menschenwürdiges Existenzminimum.
Absurde Daten
Warum der Ärger, wenn doch hinlänglich bekannt ist, dass die Bürgergeld Regelsätze ganz und gar nicht fair berechnet sind? Weil die Politik nicht hören möchte und weil einige Zahlen in dem Datengemenge so absurd sind, dass es selbst den größten Paragrafenreitern auffallen müsste.
Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
Anlass für die Aufregung war ein Tweet von Joachim Rock, Abteilungsleiter Sozial- und Europapolitik beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Die Nachricht ist mit einem Bild von einer Tabelle versehen, einer Übersicht zu den Daten des privaten Konsums. Ursprung: die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Jahres 2018.
Berücksichtigt werden die untersten 20 %
Diese EVS bildet die Grundlage, mit deren Hilfe die Bürgergeld Regelbedarfe ermittelt werden – wobei nur die nach Einkommen untersten 20 Prozent der Haushalte berücksichtigt werden. Diese Erhebung bestimmt also, wie viel Geld jeden Monat für Nahrungsmittel, den Kühlschrank oder aber neue Kleidung zur Verfügung stehen.
Bedarf von Kindern wird nur abgeleitet
Betrachtet man diese Tabelle, werden die Regelbedarfe für Kinder kurzerhand von denen für Erwachsene abgeleitet. Weil je Haushalt 30,44 Euro für Tabakwaren und alkoholische Getränke berechnet wurden, wird Erwachsenen ein Anteil von 23,28 Euro zugeschrieben und Kindern unter sechs Jahren ein Anteil von 7,16 Euro.
Die Ausreden des BMAS
Die Ausgaben werden zwar als Korrekturbetrag gewertet, zumal dem Ministerium bewusst sei, dass Kinder weder Tabak noch Alkohol konsumierten. Warum stattdessen nicht kinderspezifische Werte gelistet werden: aus Bequemlichkeit. Laut BMAS werden die Ausgaben nur für den gesamten Haushalt erfasst und nicht speziell für Kinder und Jugendliche. Oder, um wie Joachim Rock das Bundesverfassungsgericht zu zitieren, man rechnet „ins Blaue hinein“.
Kindsspezifische Bedarfe
Damit bewegt man sich schon seit Jahren wissentlich fernab der Realität. Denn dass Kinder und Erwachsene unterschiedliche (Grund-)Bedürfnisse haben, sollte selbst in Amtsstuben des BMAS bekannt sein. Oder wie die SOS-Kinderdörfer in ihrer Reaktion auf den Tweet erklären:
„Die Regelsätze für Kinder müssen sich an kindsspezifischen Bedarfen orientieren. Schulhefte oder Windeln kommen im Erwachsenenleben kaum vor.“
Starre Bemessungsgrundlage
Das hat man bei der „größten Sozialreform seit 20 Jahren“ wohl übersehen. Stattdessen hält man an der starren und teils bizarren Bemessungsgrundlage fest. Die EVS wird in diesem Jahr zwar neu durchgeführt. Dass man dabei gezielter vorgeht und nach Altersgruppen unterscheidet, ist aber eher unwahrscheinlich. So bleibt es denn beim „Statistikschwachsinn“.
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