Das Bundessozialgericht entschied am 11. September 2024 (Az. B 4 AS 12/23 R), dass eine polnische Staatsangehörige Anspruch auf Bürgergeld nach dem SGB II hat, obwohl sie sich vorwiegend zur Arbeitssuche in Deutschland aufhielt. Ursprünglich hatte das Jobcenter Köln den Antrag abgelehnt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob der mehr als fünfjährige Aufenthalt der Klägerin den Ausschluss von Bürgergeld-Leistungen für EU-Bürger, die nur zur Arbeitsuche in Deutschland sind, aufhebt.
Hintergrund
Die Klägerin, 1974 in Polen geboren, hielt sich seit dem 20. April 2015 in Deutschland auf und war seit diesem Zeitpunkt behördlich gemeldet. Allerdings gab es eine Unterbrechung zwischen dem 7. September 2016 und dem 7. Juli 2017, in der sie nicht in Deutschland gemeldet war. Gemeinsam mit ihrem 2018 in Deutschland geborenen Sohn beantragte sie im Februar 2020 erstmals Bürgergeld-Leistungen (damals Hartz IV). Das Jobcenter lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass sich die Klägerin ausschließlich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhielt.
Voraussetzungen: Wer bekommt Bürgergeld?
Nach Erhalt des Ablehnungsbescheids legte die Klägerin Widerspruch ein, der ebenfalls abgelehnt wurde. Daraufhin klagte sie vor dem Sozialgericht Köln.
Sozialgericht gibt Klägerin recht
Das Sozialgericht Köln entschied am 21. Dezember 2020 (Az. S 40 AS 1386/20), dass die Klägerin und ihr Sohn Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ab dem 20. April 2020 haben. Das Gericht argumentierte, dass die Klägerin seit dem 20. April 2015 für den Großteil der Zeit in Deutschland gemeldet war, und daher am Stichtag die fünfjährige Aufenthaltsdauer erreicht habe. Entscheidend war, dass die zeitweise Unterbrechung in ihrer Meldung den Anspruch nicht beeinträchtigte. Damit greife die Rückausnahme gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II, die den Leistungsausschluss für EU-Bürger, die nur zur Arbeitsuche in Deutschland sind, aufhebt. Auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bestätigte diese Entscheidung am 14. Juni 2023 (Az. L 12 AS 245/21).
Bundessozialgericht bestätigt Anspruch
Das Bundessozialgericht wies in letzter Instanz die Revision des Jobcenters zurück und stellte fest, dass die Klägerin aufgrund ihres fünfjährigen Aufenthalts in Deutschland Bürgergeld für den Zeitraum vom 20. April bis 30. November 2020 erhält. Das Gericht stellte klar, dass „ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht zwingend eine durchgehende behördliche Meldung voraussetzt“ (BSG, Urteil vom 20. September 2023, Az. B 4 AS 8/22 R). Die zeitweise Unterbrechung in der Meldung spielte somit keine Rolle für den Leistungsanspruch. Ebenso die Frage, ob sich die Klägerin auf die Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit hätte berufen können, war unerheblich.
Anspruch des Kindes
Auch der zweijährige Sohn der Klägerin hatte Anspruch auf Sozialgeld (eine frühere Leistung für Nichterwerbsfähige in Bedarfsgemeinschaften, die seit der Einführung des Bürgergeldes in das Bürgergeld integriert wurde). Da er als Nichterwerbsfähiger in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter lebte, war der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht auf ihn anwendbar. Er war weder selbst erwerbsfähig noch Angehöriger einer von Leistungen ausgeschlossenen Person.
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