Die Kritik am Bürgergeld verschärft sich weiter: Der frühere Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, hat sich mit scharfer Kritik zu Wort gemeldet und dabei klar gemacht, dass er die Reform für einen schweren Fehler hält. Scheele, der über Jahre hinweg die Entwicklungen im Arbeitsmarkt maßgeblich beeinflusst hat, betrachtet das Bürgergeld als Rückschritt gegenüber Hartz IV. „Gemessen an den Ergebnissen ist das Bürgergeld schlicht nicht erfolgreich“, erklärte er im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“. Besonders angesichts des akuten Arbeitskräftemangels ist es für Scheele alarmierend, dass heute weniger Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Seine Kritik dürfte das ohnehin schon angespannte Klima in der Diskussion weiter anheizen und ist Wasser auf die Mühlen der vielen Kritiker der Reform.
Fehlende Anreize zur Arbeitsaufnahme
Scheele sieht insbesondere die fehlenden Anreize zur Arbeitsaufnahme als problematisch an. Ein wesentlicher Kritikpunkt betrifft die Abkehr von den strengen Sanktionen, die unter Hartz IV galten. „Mit der Reform wurde der Druck, eine Arbeit anzunehmen, deutlich gemindert“, erklärte Scheele. Gleichzeitig wurden Sanktionen bei der Verweigerung von Jobangeboten oder Terminen stark zurückgefahren. Dies, so Scheele, habe dazu geführt, dass mehr Menschen länger im Bürgergeld verharren, anstatt zügig eine Beschäftigung aufzunehmen. Für Scheele steht fest: „Das Bürgergeld darf keine langfristige Alimentation sein.“ Er fordert, dass das Ziel wieder darin bestehen müsse, „den Bezug von Sozialleistungen umgehend durch Arbeitsaufnahme zu beenden.“
Bürgergeld: Bedingungsloses Grundeinkommen durch die Hintertür?
Steigende Kosten bei sinkender Effektivität
Mit der Umstellung von Hartz IV auf das Bürgergeld wurden nicht nur die Sanktionen gemildert, sondern auch die Regelsätze deutlich erhöht. Diese Änderungen, so Scheele, haben jedoch nicht die erhoffte Wirkung gezeigt. „Trotz der verbesserten finanziellen Unterstützung und erweiterten Zuverdienstmöglichkeiten sind heute nachweislich weniger Menschen in den Arbeitsmarkt integriert“, kritisierte er. Scheele warnt vor den finanziellen Folgen: „Es kostet eher mehr, weil viele länger im Bürgergeld bleiben.“ Diese Entwicklung sieht er als problematisch an, da sie das Sozialsystem auf lange Sicht belasten könnte, ohne die gewünschten Erfolge zu erzielen.
Verprellte Wähler und eine gespaltene SPD
Scheele, selbst Mitglied der SPD, äußerte auch parteiinterne Kritik. Er hält die Entscheidung, Hartz IV durch das Bürgergeld zu ersetzen, für einen strategischen Fehler, der viele frühere Wähler der Partei enttäuscht habe. „Die SPD hätte bei Hartz IV bleiben sollen. Man hätte das Konzept umbenennen können, statt es grundlegend zu verändern“, so Scheele. Die SPD habe zu viel Energie darauf verwendet, für eine kleine Gruppe von Sozialhilfeempfängern Politik zu machen, während die Interessen der arbeitenden Mitte, etwa in den Bereichen Wohnen, Pflege, und Bildung, vernachlässigt wurden.
Kritik an Leistungen für ukrainische Geflüchtete
Besonders kritisch sieht Scheele die Entscheidung der Bundesregierung, ukrainischen Geflüchteten Zugang zum teureren Bürgergeld zu gewähren. „Warum sind sie nicht in das Asylbewerberleistungsgesetz mit niedrigeren Sätzen gekommen?“, fragte er. Angesichts der Tatsache, dass viele der geflüchteten Frauen allein mit ihren Kindern gekommen sind, sei es wenig realistisch, dass sie kurzfristig eine Arbeit aufnehmen könnten. Schließlich müssen sie zunächst Sprachkurse besuchen und sich auch um die Kinder kümmern. Diese Entscheidung belaste das Sozialsystem zusätzlich, ohne eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
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