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Formfehler und Unwissenheit: Bürgergeld-Bezieher scheitert kläglich

frustrierter Mann fasst sich in das Gesicht

Mit Unwissenheit zu argumentieren, geht auch im Kontext des Bürgergelds meist nach hinten los. Diese Erfahrung musste ein Betroffener machen, der so ziemlich alles falsch gemacht hat, was man nur falsch machen konnte: Einnahmen wurden nicht angegeben, letztlich gegen den falschen Bescheid Widerspruch eingelegt und dann auch noch die Form nicht gewahrt. Während das Sozialgericht Darmstadt versuchte, mit dem Meistbegünstigungsgrundsatz zu helfen, fand das Hessische Landessozialgericht klare Worte in dem Fall.

Geld für einen Motorroller

Der Ärger, den sich ein Bürgergeld Bedürftiger – Jahrgang 1986, Behinderungsgrad 100 Prozent, mit den Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“ – eingehandelt hat, basiert auf einem Wirrwarr von Bescheiden und Widersprüchen sowie nicht gemeldeten Einnahmen. Zunächst wurde ein Fortzahlungsantrag bewilligt, für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2021. Nachdem aber Einzahlungen auf dem Konto bemerkt wurden, hakte das Jobcenter nach. Der Mann erklärte, die Mutter habe ihm Geld für einen Motorroller (2.000 EUR), den Führerschein und die Inspektion (ca. 1.400 EUR) überwiesen, zudem nehme er an Online-Umfragen teil und tilge mit dem Erlös seine Zinsschulden.

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4.061,10 Euro Rückforderung

Weil er das Amt nicht über die Einnahmen informiert hatte, folgte am 1. April 2021 die Quittung: Das Amt hob die Leistungen für die Zeit vom 1. Februar 2020 bis zum 28. Februar 2021 auf, forderte einen Erstattungsbetrag von 4.061,10 Euro und erklärte, ab dem 1. Juni 2021 monatlich 133,80 Euro aufzurechnen. Widerspruch legte der Bürgergeldempfänger jedoch erst am 1. Juni ein. Weil der Widerspruch nicht fristgerecht erfolgte, wurde er verworfen und als Überprüfungsantrag gewertet.

Widerspruch gegen Bescheid

Mit Bescheid vom 6. Juli 2021 wurden dann monatlich 133,80 Euro einbehalten. Dagegen legte der Bürgergeld Bedürftige ebenfalls Widerspruch ein und scheiterte. Daher klagte er am 26. August beim Sozialgericht Darmstadt. Am 1. Dezember kam schließlich der Bescheid über den Überprüfungsantrag. Auch hier gab es eine Ablehnung. Daraufhin folgte der nächste Widerspruch – per E-Mail.

Form nicht gewahrt

Nachdem das Jobcenter ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass damit nicht die Form gewahrt sei und er den Widerspruch formgerecht nachreichen sollte, schickte er der Mann erneut eine E-Mail – dieses Mal mit eingescannter Unterschrift. Der Widerspruch wurde daher für unzulässig erklärt. Daraufhin klagte der Betroffene ein weiteres Mal. Er habe nicht gewusst, was eine qualifizierte elektronische Signatur sei. Daher müsse ihm eine erneute Widerspruchsfrist eingeräumt werden.

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Sozialgericht ändert den Klagegrund

Obwohl die erste Klage sich explizit gegen den Bescheid vom 6. Juli richtete, sah das Sozialgericht Darmstadt die Klage in der Sache gegen den Bescheid vom 1. April, mit dem die Leistungen aufgehoben wurden. Hier sei nicht ordnungsgemäß über die Widerspruchsmöglichkeiten informiert worden. Insofern gelte für den Widerspruch die Jahresfrist. Dennoch habe das Jobcenter recht: Die Einnahmen müssen leistungsmindernd berücksichtigt werden.

Meistbegünstigungsgrundsatz unberechtigt

Das Landessozialgericht urteilte ähnlich, bezog die erste Klage aber nicht auf den Bescheid vom 1. April. Der Kläger habe mehrfach, auch auf Nachfrage, betont, dass er sich auf den Bescheid vom 6. Juli beziehe. Selbst der Meistbegünstigungsgrundsatz lasse daher keinen Raum, den Klagegegenstand (die Bescheide) einfach auszutauschen. Am Ergebnis ändert das nichts. Die Aufrechnung ist rechtens.

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Hinreichende Rechtsmittelbelehrung

Gescheitert ist der Bürgergeld Bedürftige auch mit dem Versuch, aufgrund von Unwissenheit eine erneute Widerspruchsfrist zu beantragen. Hier fanden die Richter am Landessozialgericht besonders deutliche Worte: Der Betroffene sei mit Bescheid vom 1. Dezember 2021 hinreichend über die Möglichkeiten des elektronischen Widerspruchs informiert worden. Noch mehr ins Detail zu gehen, würde zu einer Überfrachtung der Rechtsmittelbelehrung führen. Es gelte: „Ein Widerspruch durch einfache E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur reicht deshalb auch dann nicht aus, wenn sie eine eingescannte Unterschrift des Widerspruchsführers enthält.“

Verfahrenshergang:
Hessisches LSG vom 17.07.2024 – Az.: L 6 AS 357/23
SG Darmstadt vom 26.07.2023 – Az.: S 1 AS 580/21 (verbunden mit S 1 AS 174/22)

Titelbild: Ollyy/ shutterstock.com