Augen zu und durch: Das scheint die Devise zu sein, nach der die Ampelkoalition derzeit handelt, zumindest im Hinblick auf eines ihrer Mammutprojekte – den Umbau des Sozialstaates und die Überwindung von Hartz IV durch ein Bürgergeld. Bis jetzt gibt es nur einen löchrigen Entwurf, aber keine echte Perspektive. Die wäre jetzt aber dringend nötig. Immer mehr Verbraucher gehen auf dem Zahnfleisch und wissen nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen.
Viel Reden, wenig Hilfe
Bildlich gesprochen schallt es aus den Reihen der Regierung „Hilfe naht“. Etwas leiser und teils schon verschämt folgt dann der Hinweis, man müsse noch darüber reden. Da die Teuerung seit Monaten fortschreitet, vor allem bei den Lebensmittel- und Energiekosten, hatte man dazu reichlich Zeit. Noch ärgerlicher: Niemand scheint auf die Betroffenen zu hören.
Fast 690 Euro Hartz IV Regelsatz 2022 bei ehrlicher Berechnung
Gießkannenprinzip statt gezielter Unterstützung
Die bisherigen Hilfspakete wurden mit der Gießkanne ausgeschüttet. Einige der Randbereiche hat man dabei übersehen, allen voran die Rentner. Andere, die auch ohne staatliche Hilfe auskommen würden, hat man wiederum reichlich bedacht. Die soziale Fairness blieb dabei gänzlich auf der Strecke. Entsprechend laut war und ist die Kritik an der Vorgehensweise von SPD, Grünen und FDP.
Mangelnde Gesprächsbereitschaft
Die Koalitionspartner scheinen so sehr in ihre Gespräche vertieft zu sein, dass sie anderen gar nicht mehr zuhören. Zwar hat man mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern diskutiert. Diejenigen, die täglich mit der Not der Menschen konfrontiert werden, lässt man hingegen (bewusst) außen vor.
Ein Sozialgipfel ist zwingend nötig
Der Vorschlag, einen Sozialgipfel einzuberufen, der unter anderem vom Sozialverband Deutschland und dem Sozialverband VdK unterstützt wird, wäre der erste Schritt, wirklich auf die Probleme einzugehen. Denn es ist nicht mehr fünf vor, sondern für viele Haushalte schon fünf nach Zwölf.
Sorgen nehmen zu
Die Liste derer, denen kaum mehr Luft zum Leben bleibt, wird immer länger: Hartz Bedürftige, Rentner, einkommensschwache Haushalte … Sie suchen Hilfe bei den Sozialverbänden. Angst vor Stromsperren, die Sorge, kein Dach mehr über dem Kopf zu haben oder wie man den nächsten Einkauf bezahlen soll – das treibt die Menschen um. Darum muss sich ein Sozialstaat kümmern.
Staat wälzt die Arbeit auf Tafeln ab
Doch genau daran hapert es. Stattdessen verlässt man sich auf Tafeln, die Arche und andere Einrichtungen, die inzwischen völlig überlaufen sind und sich Beschimpfungen gefallen lassen müssen. Dabei sind es nicht die Freiwilligen, die das Problem verursacht haben, sondern die Politik.
Hartz IV reicht nicht: Tafeln schlagen Alarm
Menschen haben Angst
Würden Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und seine Kollegen auch nur ein paar Stunden Zeit investieren und die Tweets zu #IchBinArmutsbetroffen oder die Kommentare zu unseren Beiträgen lesen: Sie wüssten, dass die Menschen Angst haben und nicht mehr können, teils auch nicht mehr wollen.
Hartz IV schreckt ab
Umso schlimmer ist es, dass Hartz IV Menschen so sehr abschreckt, dass sie nicht einmal Hilfe in Anspruch nehmen, obwohl sie ihnen zustünde. Man spricht von versteckter Armut und der Sorge vor Stigmatisierung. Auch hier muss der Staat aktiv werden. Nicht nur von Augenhöhe sprechen, sondern auch Augenhöhe schaffen.
Betroffene scheuen den Gang zum Amt
Der Armutsforscher Christoph Butterwege mahnt: „Eigentlich müsste der Sozialstaat dafür sorgen, dass er alle Hilfsbedürftigen erreicht.“ Studien gehen davor aus, dass jeder Zeite, der Hartz IV beantragen könnte, es nicht macht oder sich nicht traut. Bei Rentnern ist es sogar nur einer von drei Antragsberechtigten, der den Staat um Hilfe bittet.
Staat muss proaktiv werden
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fordert daher, dass der Staat proaktiver werden und früher ansetzen müsse, damit Menschen nicht in Armut rutschen. Hinzu komme, dass Hartz IV viel zu kompliziert und nicht ausreichend hoch sei.
Wo bleibt die Perspektive?
Kurzum: Die Regierung verschließt die Augen vor den Problemen vieler Menschen. Das Bürgergeld wird nach aktuellem Stand keine allzu großen Veränderungen bringen. Dabei ist es genau das, was die Menschen jetzt brauchen: eine Perspektive, einen Silberstreif am Horizont und keine endlosen Debatten.
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