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Gericht rügt Jobcenter: Mehr Flexibilität beim Bürgergeld gefordert

Die Jobcenter-Mitarbeiter haben in vielen Belangen freie Hand und können nach eigenem Ermessen entscheiden – etwa über eine Unterstützung von Bürgergeld Bedürftigen aus dem Vermittlungsbudget. In dem Fall muss dann auch ein Ermessen erkennbar sein und entsprechend ausgeübt werden. Sich nur auf ermessenslenkende Weisungen zu berufen, reicht nicht aus und sorgt dafür, dass der Bescheid rechtswidrig ist, so das Sozialgericht Dortmund.

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Streit um Fahrkosten

Der Fall, der dem Urteil zugrunde liegt, beweist gleich auf zweierlei Weise, dass Bürgergeld Bedürftige möglichst schnell und möglichst billig abgespeist werden sollen. Betroffen ist ein Arbeitssuchender aus Nordrhein-Westfalen, der einen neuen Job in Hessen gefunden hatte. Die einfache Strecke von der Wohnung zum Arbeitsplatz: 48 Kilometer. Um sich die Fahrt mit dem Auto leisten zu können, beantragte der Mann Fahrtkostenzuschuss beim Jobcenter.

Bescheid strikt nach Schema-F

Bewilligt wurden 200 Euro, jedoch nur im ersten Monat. Ab dem zweiten Monat stünde das Einkommen einer weiteren Unterstützung entgegen. Das Jobcenter sah keinen begründeten Ausnahmefall für eine Fortsetzung der Unterstützung. Dabei berief man sich auf die ermessensleitenden Weisungen für Pendelfahrten. Die gehen von 0,20 Euro je Kilometer aus. Im vorliegenden Fall also 19,20 Euro am Tag. Die tatsächlichen Kosten beliefen sich allerdings auf 600 Euro.

Exkurs: Ungleichbehandlung bei Kilometerpauschale

Das ist ein hinlänglich bekanntes Problem: Bürgergeld Aufstockern, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, wird eine Pauschale von 0,20 Euro je Kilometer für die einfache Wegstrecke zugestanden. Das gilt allerdings nur, wenn zumutbare öffentliche Verkehrsmittel nicht günstiger sind. Jeder andere Arbeitnehmer kann beim Finanzamt 0,30 Euro je Kilometer geltend machen, ab dem 21. Kilometer sind es 0,38 Euro.

Lesetipp: Finanzamt stellt Bürgergeld-Aufstocker besser als Jobcenter

20 Cent, 30 Cent und tatsächliche Kosten

Der Unterschied ist gravierend und summiert sich schnell auf, weil Bürgergeld Bedürftige oft längere Strecken in Kauf nehmen. Besonders ärgerlich daran: Die Kilometerpauschale von 20 Cent soll nicht nur Sprit, sondern auch Wartung, Versicherung und Co. abdecken. Laut Berechnungen des ADAC ergeben sich dafür allerdings schon bei Kleinwagen wie einem VW Polo Kosten von rund 40 Cent je Kilometer.

Ermessen des Jobcenters nicht erkennbar

Dieser Umstand hätte bei der Ermessensentscheidung zu den Fahrkosten und damit einer Einzelfallprüfung berücksichtigt werden müssen. Da im vorliegenden Fall aus Sicht des DGB Rechtsschutzbüros Siegen allerdings kein Ermessen ausgeübt worden war, klagte man vor dem Sozialgericht Dortmund und bekam Recht (S 91 AS 2584/22).

Gemäß § 16 SGB II in Verbindung mit § 44 SGB III können Bürgergeld Bedürftige gefördert werden, wenn sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung annehmen. In dem Zusammenhang müssen die angemessenen Kosten übernommen werden, sofern der Arbeitgeber nicht dafür aufkommt. Darüber habe das Jobcenter im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden.

Begründung entscheidend

Maßgeblich dabei: Die Ermessenentscheidung muss begründet sein und die Gesichtspunkte, nach denen entschieden wurde, erkennen lassen. Oder anders ausgedrückt: Erforderlich ist eine Darlegung der Entscheidung, die sich explizit auf den jeweiligen Einzelfall bezieht – inklusive der Abwägung aller Interessen. Ermessensleitende Weisungen können dabei, so das Sozialgericht Dortmund, als Entscheidungsmaßstab dienen, um eine Gleichbehandlung zu gewährleisten. Gleichwohl müsse genug Raum für eigenes Ermessen bleiben.

Ermessensnichtgebrauch durch das Jobcenter

Hinsichtlich der Fahrkosten befand das Gericht, es sei kein Ermessen ausgeübt worden. Man warf dem Jobcenter Ermessensnichtgebrauch vor. 200 Euro entsprächen zwar dem Maximalwert der Weisung. Die wiederum stelle nur eine Orientierungshilfe dar. Die Erwägung, warum dieser Betrag und keine höhere Leistung bewilligt worden war, sei nicht dargelegt worden. Bloß auf die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu verweisen, stelle lediglich eine Leerformel dar. Tatsächlich sei kein Ermessen ersichtlich, weshalb der Bescheid aufgehoben wurde.

Titelbild: Stokkete / shutterstock