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Hartz IV Antrag: Sozialgericht stoppt Jobcenter-Schikane

Fassungslose Frau liest Brief

Als Selbstständiger Hartz IV beantragen zu müssen, ist ganz sicher kein leichter Schritt. Schon gar nicht, wenn man durch Corona unverschuldet in die Situation gerät. Umso schlimmer, wenn der vom Gesetzgeber vereinfachte und möglichst unbürokratische Weg zur Grundsicherung durch Schikanen vom Jobcenter immer wieder versperrt wird und erst ein Machtwort des Sozialgerichts Osnabrück die dringend nötige Unterstützung vom Staat ermöglicht.

Vereinfachtes Verfahren

Mit dem Lockdown zum 16. Dezember 2020 hatte eine selbstständige Friseurmeisterin ihre Einkommensgrundlage verloren. Sie musste das Geschäft schließen und beantragte mit dem entsprechenden Formular der Bundesagentur für Arbeit Grundsicherung bzw. Hartz IV im vereinfachten Verfahren. Doch das Jobcenter wollte für eine Entscheidung weit mehr Unterlagen.

Bürokratie-Wahnsinn pur

Neben dem Formular hatte die Frau Kopien ihres Personalausweises, des Mietvertrages und privater Versicherungsscheine eingereicht. Zudem erklärte sie, kein erhebliches Vermögen zu besitzen. Das reichte nicht: Die Behörde verlangte von der Friseurmeisterin, das Erstantragsformular erneut auszufüllen sowie Kontoauszüge und das Kassenbuch seit dem 1. Juli 2020, weitere Vordrucke und eine Stellungnahme dazu, wie der Lebensunterhalt sichergestellt wird.

Ständig neue Unterlagen gefordert

Auch das reichte nicht. Statt der Frau Hartz IV zu bewilligen, wurden immer neue Unterlagen angefordert, bis hin zu Belegen zu einem privaten PayPal-Konto mit null Euro Guthaben. Damit nicht genug, wurde am 25. Januar 2021 zusätzlich ein Kontenabrufverfahren in die Wege geleitet.

Rechtsschutz beantragt

Der Friseurmeisterin wurde es zu bunt. Sie stellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Osnabrück. Die Gründe: Sie dürfe nicht arbeiten und erziele keinerlei Einkommen, zudem verfüge sie nicht über ausreichend Vermögen.

Darf das Jobcenter Kontoauszüge einsehen?

Kein Zweifel an Hilfebedürftigkeit

Das Sozialgericht Osnabrück betonte: „Die Kammer hat ab Januar 2021 bzw. ab Antragstellung in diesem Verfahren keine durchgreifenden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin.“ Alle Erwerbstätigen könnten von „vorübergehenden erheblichen Einkommenseinbußen“ betroffen sein – das gelte vor allem für Selbstständige. Daher sei ein vereinfachtes Verfahren geschaffen worden.

Rüffel für das Jobcenter

Der Klägerin bescheinigte das Sozialgericht, alle nötigen Informationen eingereicht zu haben, um vorübergehend Hartz IV zu erhalten. An das Jobcenter gerichtet, machten die Verantwortlichen deutlich:

„Die Kammer hält es für überzogen, die Nichtangabe ungenutzter Konten/Sparbücher und die laienhafte Einordnung von Verfügungsberechtigungen zugleich mit einem Generalverdacht der Verschleierung zu belegen.“

Unterlagen nicht gesichtet

Den Vorwurf des Jobcenters, es seien nicht alle geforderten Papiere vorgelegt worden, konnte das Sozialgericht nicht nachvollziehen.

„Es hat den Anschein, dass der Antragsgegner [das Jobcenter] die eingereichten Unterlagen gar nicht vollständig gesichtet hat, aber dennoch immer wieder stellenweise dieselben Unterlagen fordert“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Hartz IV bewilligt

Für die Friseurmeisterin heißt das jetzt: Sie erhält Hartz IV. Allerdings wurde der Anspruch zeitlich beschränkt bis zum 30. April 2021, da mit einer Aufhebung der Schließungsanordnung zu rechnen sei – was in der Zwischenzeit ja auch passiert ist.

Sozialgericht Osnabrück, Urteil vom 1. Februar 2021, Aktenzeichen: S 22 AS 16/21 ER

Titelbild: Pheelings media / shutterstock