Ein absolutes Unding, was sich das Jobcenter Hochtaunus da erlaubt hat. Statt einer Frau zu helfen, lässt man sie mit einer drohenden Stromsperre allein. Noch schlimmer: Das Amt selbst ist verantwortlich dafür, dass eine solche Sperre angedroht wurde, weil man es schlichtweg unterlassen hatte, für den Heizstrom aufzukommen. Nur durch das Eingreifen einer Stiftung und einer Zeitung hat man überhaupt auf das Problem reagiert.
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Die Vorgeschichte
Die betroffene Hartz IV Bedürftige hatte laut „taz“ im September 2021 eine Wohnung bezogen, in der Heizung und Warmwasser über Strom laufen und daher sehr hohe Kosten verursachen. Mit der ersten Jahresabrechnung kam dann auch gleich die erste Androhung einer Stromsperre.
Strom mit Bürgergeld – Wer zahlt die Kosten?
Keine Hilfe vom Amt
Das Jobcenter Hochtaunus schien das nicht zu interessieren. Es zahlte der 46-Jährigen keine Heizkosten und reagiert auch nicht auf Fragen oder vielmehr Hilfegesuche. Die Frau wandte sich deshalb an die Stiftung OneWorryLess (auf Twitter zu finden über #EineSorgeweniger), die mit eigenen Mitteln die Stromsperre verhinderte.
Null Reaktion auf Anfragen
Trotz mehrerer Briefe, E-Mails und Faxe erhielt auch die Stiftung keine Antwort. Telefonate wurden ins Leere durchgestellt. Erst nach einer Anfrage der „taz“ kümmerte sich das Jobcenter um das Problem und erklärte dem Stromversorger, 400 Euro zu übernehmen.
Hilfe nur als Darlehen
Die 400 Euro werden jedoch nur als Darlehen gewährt, das die Frau in monatlichen Raten von 50 Euro abbezahlen soll. Künftig übernimmt das Jobcenter monatlich 15 Euro für die Heizkosten. Eigentlich müssten es 60 Euro sein. Argumentiert wird mit „gesetzlich fixierten“ Abschlägen (die es gar nicht gibt) und einer anderen Rechtsauffassung.
Nächste Stromsperre droht
Konstantin Seefeldt von der Stiftung OneWorryLess sagt: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Das Jobcenter nehme damit die nächste drohende Stromsperre in Kauf. Verärgert über ein solches Verhalten ist auch die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin und heute Hartz IV Kritikerin Inge Hannemann:
„Bei aktuellen Notlagen, wie einer Stromsperre, muss es eine erreichbare Ansprechperson geben.“
Wesentliche Berechnungsfehler
Vor allem dürften bei der Berechnung der Grundsicherung keine derartigen Fehler gemacht werden. Denn die Grundsicherung sei so kleingerechnet, dass schon Kleinigkeiten existenzielle Auswirkungen haben könnten.
Zwei gravierende Probleme
Dieser Fall zeigt gleich zwei gravierende Probleme im Hartz IV System auf. Zum einen wird deutlich, dass Jobcenter sich zu oft verrechnen. Zum anderen zeigt sich, dass Stromarmut ein Aspekt ist, der angesichts der rasant steigenden Energiekosten, auch von der Politik nicht mehr übersehen werden darf.
Immer mehr Widersprüche
Dass es sich bei der 46-Jährigen nicht um einen Einzelfall handelt, beweist ein Blick in die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit. Für Mai 2022 stehen dort 90.148 Widersprüche. Bezogen auf die Zahl der Bedarfsgemeinschaften ist das ein Anteil von 3,4 Prozent.
Problemfeld Unterkunftskosten
Der drittgrößte Posten mit 11.966 Widersprüchen sind die Kosten für die Unterkunft, damit auch das Thema Heizen. Gerade dieser Punkt ist für Hartz IV Bedürftige elementar. Schließlich zählt das Dach über dem Kopf zu den Grundbedürfnissen.
Stromkosten steigen rasant
Eng damit verbunden sind die Stromkosten. Sie werden im aktuellen Hartz IV Regelsatz für einen Single mit monatlich 36,48 Euro berücksichtigt. Das reicht bei Weitem nicht aus. Ein Einpersonenhaushalt in Berlin muss laut aktuellem Strompreisvergleich bereits mit Kosten von mindestens 47 Euro rechnen – Tendenz steigend.
Stromarmut betrifft immer mehr Haushalte
Kein Wunder also, dass 2020 knapp 4,2 Millionen Sperrandrohungen ausgesprochen und 230.000 Stromsperren verhängt wurden – obwohl es aufgrund der Corona-Pandemie neue Rahmenbedingungen gab und viele Versorger von sich aus auf Sperren verzichteten.
Stromsperren werden zunehmen
Da die Strompreise immer weiter steigen, rechnet die Caritas damit, dass künftig mehr Menschen um Hilfe bitten. Hier spricht man von Stromarmut und einem riesigen Problem, das die Beratungsstellen schon heute zu spüren bekommen.
Tausenden Hartz IV Bedürftigen drohen Stromsperren
Strompreiserhöhung muss sich im Regelsatz widerspiegeln
Ein Caritas-Experte forderte daher schon im November 2021, dass die Strompreiserhöhungen im Regelsatz berücksichtigt und auch kurzfristig angepasst werden müssten. Andere Verbände plädieren schon seit Jahren dafür, die Stromkosten aus dem Hartz IV Regelsatz zu nehmen und sie in voller Höhe zu zahlen.
200 Euro Einmalzahlung
Der einmalige Bonus in Höhe von 200 Euro, der kommenden Monat mit dem Hartz IV Regelsatz gezahlt wird, kann die Stromkosten nicht oder nur bedingt auffangen. Denn: Nicht nur Strom, sondern auch Lebensmittel werden immer teurer.
Stromsperre vermeiden
Wichtig für Hartz IV Bedürftige: Droht eine Stromsperre, kann beim zuständigen Jobcenter ein Antrag auf Übernahme der Stromschulden gestellt werden. Wie im oben genannten Beispiel wird der Betrag jedoch nur als Darlehen gewährt – und auch nur dann, wenn man nachweisen kann, keine Energie verschwendet zu haben.