Update: Das Bundessozialgericht (BSG) hat das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth am 24. Juni 2020 aufgehoben (Az.: B 4 AS 7/20 R). Laut Urteil des BSG sind auch Nebenkostenerstattung aus Zeiten, in denen keine Leistungen bezogen wurden, gem. § 22 Abs. 3 SGB II als Einkommen zu betrachten und verringern die KdU entsprechend.
Grundsätzlich mindern alle Geldzuflüsse die Hartz IV Leistungen, so auch eine Erstattung der Nebenkosten – sofern nicht ein Eigenanteil an der Miete selbst von Hartz IV Bedürftigen selbst gezahlt wurde. Gleiches gilt normalerweise auch für neue Leistungsbezieher, die Nebenkostenerstattungen aus Zeiten erhalten, in denen noch keine Hilfebedürftigkeit bestand.
Jobcenter rechnete Nebenkostenguthaben auf Leistungen an
Der 1969 geborene Kläger erhielt ab Dezember 2018 Hartz IV Leistungen vom Jobcenter. Nachdem die bisherige Vermieterin über die Heiz- und Nebenkosten abgerechnet hatte, erhielt der Leistungsempfänger eine Erstattung für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2017 in Höhe von 483,66 € für die Heizkosten am 12.09.2018 und 25,56 € für selben Zeitraum am 14.11.2018 für die Nebenkosten ausgezahlt. Diese Erstattungen rechnete das Jobcenter im Oktober 2018 mit 300 €, im November 2018 mit 183,66 € und im Dezember mit 25,56 € auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung an.
Das Widerspruchsverfahren, mit der Begründung des Klägers, die Erstattungen der Heiz- und Nebenkosten basieren auf geleistete Zahlungen, die vor seinem Hartz IV Leistungsbezug – 01.01.2017 bis 30.11.2017 – blieb erfolglos. Das Jobcenter wies den Widerspruch als unbegründet zurück und stützte seine Begründung auf höchstrichterliche Entscheidungen zu § 22 SGB II. Demnach seien Erstattungen aus Betriebs- und Heizkostenguthaben aufwendungsmindernd zu berücksichtigen, sofern sie den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnen seien. Gleiches gelte auch für Guthaben aus Zeiten, in denen keine Leistungen der Grundsicherung bezogen wurden, so das Jobcenter. Ausgenommen seien hier Kosten der Haushaltsenergie, jedoch bezöge sich die Anrechnung im aktuellen Sachverhalt auch nicht auf die Haushaltsenergie.
Hierzu heißt es im § 22 Abs. 3 SGB II
(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.
Sozialgericht Bayreuth entscheidet gegen Anrechnung
Nach Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei der Rückzahlung der Heiz- und Nebenkosten zum größten Teil um Rückzahlungen nach dem 2. Halbsatz des § 22 Abs. 3 SGB II, und haben infolgedessen – für Zeiträume in deinen kein Leistungsanspruch bestand – bei der Anrechnung auf Hartz IV Leistungen bzw. Kosten der Unterkunft und Heizung außer Betracht zu bleiben.
Höchstrichterliche Entscheidungen noch nach alter Gesetzeslage
Das Sozialgericht stellte fest, dass die bisherigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (B 4 As 139/11 vom 22.03.2013, B 14 AS 83/12 R vom 12.12.2013) aufgrund der Rechtslage nach § 22 Abs. 3 SGB II a.F. sowie der Vorgängervorschrift des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II a.F. ergangen sind und sich nicht unmittelbar auf die aktuelle Fassung des § 22 Abs. 3 SGB II übertragen lassen.
Würden nun Mittel, die aus einer Zeit vor dem Leistungsbezug erbracht wurden, auf die Kosten der Unterkunft und Heizung angerechnet, würde diese Auslegung nach Auffassung des Gerichts eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von einerseits Hartz IV Leistungsbeziehern, die einen Teil der KdU aus dem Regelsatz zahlen und andererseits Bedürftigen, die ein Guthaben vor dem Leistungsbezug aus eigenen Mitteln erwirtschaftet haben. Dies ließe sich nicht mit Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.) vereinbaren.
Aus diesem Grund seien nach verfassungskonformer Auslegung des aktuellen § 22 Abs. 3 SGB II erwirtschaftete Guthaben, die vor dem Leistungsbezug entstanden sind, mit „nicht anerkannten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung“ gleichzusetzen und dürfen demzufolge nicht leistungsmindernd angerechnet werden.
Da das Bundessozialgericht noch keine Entscheidung aufgrund der neuen Rechtslage getroffen hat, ließ das SG Bayreuth sowohl die Berufung als auch eine Sprungrevision direkt an das BSG zu.
Sozialgericht Bayreuth – S 17 AS 7/19 vom 19.09.2019 (Volltext)