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Hartz IV & Psyche: Jobcenter machen Angst

psychisch kranke Frau in einer Menschenmenge

Ausgegrenzt, belächelt, beschimpft: Hartz IV Bedürftige müssen sich einiges gefallen lassen. Das hinterlässt Spuren – vor allem auf der Seele. Psychische Erkrankungen bei Betroffenen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Darauf hat jüngst Hartz IV Kritikerin Inge Hannemann aufmerksam gemacht. Die Aktion #IchBinArmutsbetroffen auf Twitter ist mit den vielen Leidensberichten wie ein langgezogenes Echo dieser Erkenntnis.

Über 30 Prozent haben psychische Probleme

Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte Ende 2020 eine Zahl, die nachdenklich stimmt: Jeder dritte Hartz IV Bedürftige hat psychische Probleme. Aktuellere Daten liegen nicht vor. Doch es dürfte klar sein, dass der Anteil in den vergangenen Monaten nicht geschrumpft ist.

Krank durch Hartz IV

Die Frage, ob betroffene Hartz IV Bedürftigen schon vorher psychisch krank waren und deshalb in die Grundsicherung gerutscht sind, oder durch das Hartz IV System krank wurden, lässt sich nach aktuellem wissenschaftlichem Stand nicht klar beantworten. Beides trifft zu. Traurig daran ist, dass eine als Hilfe gedachte Leistung tatsächlich die Psyche belasten kann.

Jobcenter sind überfordert

Ebenso traurig: Die meisten Jobcenter sind mit dem Thema psychische Erkrankungen anscheinend völlig überfordert. Das IAB hat seinerzeit bereits festgestellt, dass es keinen geregelten Umgang mit der Thematik gibt. Im Forschungsbericht „Psychisch Kranke im SGB II: Situation und Betreuung“ aus dem Jahr 2017 wird deutlich: Es kommt immer auf die Sachbearbeiterin/den Sachbearbeiter an.

Empathie ist wichtig

Teils würden die Fachkräfte die Erkrankung offen thematisieren. Dieser Schritt nach vorne werde von Betroffenen im Hartz IV System als unterstützend wahrgenommen. Andere machten die Erfahrung, dass in den Beratungsgesprächen gar nicht auf psychische Probleme eingegangen wird.

Problem wird nicht erkannt

Dass psychische Erkrankungen im Jobcenter-Alltag außen vor bleiben, hat vor allem einen Grund: Die Fachkräfte erkennen das Problem nicht. Ihnen fehlt der psychologische Hintergrund. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn man sich nicht nur aufs Bauchgefühl verlässt, sondern den Fachdienst oder das Gesundheitsamt einschaltet, um Klarheit zu gewinnen.

Hartz IV Studie: Arbeitslose sterben erheblich früher

Gezielter auf die speziellen Anforderungen eingehen

Denn um Betroffene aus Hartz IV wieder in Arbeit zu bringen, braucht es laut IAB in erster Linie eine psychische Stabilisierung. Weitere Hemmnisse könnten durch individualisierte Unterstützungsangebote und eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten abgebaut werden. Zudem müssten auch Arbeitgeber für das Thema sensibilisiert werden.

Das Gefühl von Minderwertigkeit

Denn Arbeitslosigkeit ist oft Auslöser für die Probleme und sollte daher so schnell wie möglich überwunden werden. „Die Betroffenen fühlten sich abhängig und minderwertig“, heißt es in der Studie. Hinzu käme das gesellschaftliche Stigma, das die negativen Emotionen verstärke. Je länger der Hartz-IV-Bezug dauere, desto mehr verschlimmere sich die Situation.

Betroffene wollen arbeiten

Den Vorwurf, Hartz IV Bedürftige, gerade die Kranken, wollen gar nicht arbeiten, entkräftet die Studie. Der Wunsch nach Arbeit, damit auch Anerkennung und Bestätigung sowie der Möglichkeit, sich Wünsche erfüllen zu können, sei groß. Allerdings oft verbunden mit der Angst, der Arbeitsbelastung nicht standhalten zu können.

Sanktionen sind kontraproduktiv

In diesem Sinne sind Sanktionen bei psychisch Kranken eher kontraproduktiv. Trotzdem werden sie eingesetzt. Die Fachkräfte in den Jobcentern nutzten sie unter anderem zur Motivation, damit Maßnahmen nicht abgebrochen und Termine eingehalten werden. Damit wird noch mehr Schaden angerichtet. „Sie (die Sanktionen) verursachen Existenzängste“, betont auch Inge Hannemann.

Strafen für Hartz IV Bedürftige bleiben wohl Alltag

#IchBinArmutsbetroffen

Wer nun glaubt, es handle sich um Einzelfälle, der sollte einen Blick auf die Twitter-Aktion #IchBinArmutsbetroffen werfen. Dort findet man Beispiele von Erniedrigung, Entmutigung und nur ganz selten von Ermutigung. Es ist schon bedenklich, dass „Jobcenter weitere Ängste hervorrufen können“, wie Inge Hannemann schreibt. Vielleicht schafft das Bürgergeld Abhilfe.