Zum 01.01.2023 könnte es beim Bürgergeld ein böses Erwachen geben: Bleibt die Berechnungsgrundlage für Hartz IV unverändert, läge die Anpassung des Regelsatzes deutlich unter der aktuellen Inflationsrate von 7,5 Prozent – die laut Bankenverband noch weiter steigen und an der 10-Prozent-Marke kratzen könnte. Konkret: Laut Hochrechnung der Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, über die das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RDN) berichtet, wird das Bürgergeld nur 4,6 Prozent höher sein als der bisherige Hartz IV Satz. Ein alleinstehender Erwachsene erhielte dann knapp 470 Euro.
Kaum Hoffnung auf Besserung
Verfolgt man die Kommentare zu den Bürgergeld-Plänen, befürchten viele Hartz IV Bedürftige ohnehin, dass sich kaum etwas ändern wird. Gleichzeitig wird deutlich: Eine zehnprozentige Anpassung der Regelsätze um 40 bis 50 Euro, wie von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt, reicht längst nicht mehr aus, um die Existenz zu sichern und Teilhabe auf allen Ebenen – auch soziokulturell – zu ermöglichen.
Vor ein paar Monaten kam auch der Bundesarbeitsminister zu dem Schluss, dass die Berechnungsmethode nicht ausreiche, um der galoppierenden Inflation entgegenzutreten. Er schlug eine neue Berechnungsmethode vor, bei der für die Nettolohnentwicklung nicht die unteren 20 Prozent sondern die unteren 30 Prozent herangezogen werden. Daraus resultiere dann die angesprochene Erhöhung um etwa zehn Prozent respektive die angesprochenen 40 bis 50 Euro. Um sich in diesem Jahr keine Tatenlosigkeit vorwerfen zu lassen, hatte man im Rahmen von Hilfsmaßnahmen einen 200 Euro Sofortzuschlag beschlossen, der an Hartz IV Bedürftige ausgezahlt werden sollte bzw. bereits ausgezahlt wurde. Auch dieser deckt den Kaufpreisverlust nicht. Wir haben nachgerechnet und kamen zu dem Schluss, dass der 200 Euro Hartz IV Sofortzuschlag bereits vor der Auszahlung verpufft ist.
Sollten die Hochrechnungen des Paritätischen Gesamtverbandes zutreffen, würde eine Erhöhung des Bürgergeld-Regelsatzes auf nur 470 Euro den bisherigen Vorschlag des Bundesarbeitsministers noch deutlich unterschreiten.
Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen
Da noch keine Hinweise zur Berechnungsgrundlage des Bürgergelds veröffentlicht wurden, sind alle Zahlen, die derzeit im Raum stehen, mit Vorsicht zu genießen. Auch die von Hubertus Heil. Denn einer der Ampelpartner, die FDP, lehnt Änderungen der bisherigen Anpassungsmethode ab.
FDP blockiert Hartz IV Neuberechnung
470 Euro Bürgergeld für einen Single
Setzt sich die FDP mit ihrer Forderung durch, steht beim Hartz IV Nachfolger ein Plus von lediglich 4,6 Prozent zu Buche. Das sind 20,65 Euro mehr und in der Summe für einen Single knapp 470 Euro, die als Bürgergeld ausgezahlt würden. Diesen Wert hat die Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ermittelt. Berücksichtigt wurden hierbei die regelbedarfsspezifische Preisentwicklung und die Lohnentwicklung von Anfang Juli 2021 bis Ende Juni 2022.
Inflation ist deutlich gestiegen
Das große Problem: Die Inflation zu Beginn des Berechnungszeitraums lag mit 3,8 Prozent deutlich niedriger als heute und hat erst nach und nach an Fahrt aufgenommen. Im Juli 2022 bewegte sich die Teuerung bei 7,5 Prozent. Der Durchschnitt des Zeitraums, der für die Fortschreibung der Hartz IV Regelsätze greift, lag bei 5,59 Prozent.
Bereits vor einem Jahr hagelte es Kritik, als der Regelsatz zum Jahreswechsel 2021/22 nur um 0,76 Prozent angehoben wurde. Hier hatte man argumentiert, dass die Mehrwertsteuersenkung im zweiten Halbjahr 2021 die Inflation verwässere und daher die Preissteigerungen erst im Jahr 2023 berücksichtigt würden. Wir haben berichtet.
Die Berechnungsgrundlage trägt nicht mehr
Das Fazit von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, fällt dementsprechend klar aus:
„Die Ergebnisse der Paritätischen Forschungsstelle belegen, dass das herkömmliche Verfahren zur Anpassung der Regelsätze nicht mehr trägt.“
Die Erhöhung läge deutlich unter dem Anstieg der aktuellen Lebenshaltungskosten.
Entwertung der Grundsicherung
2023 drohe, so Schneider, erneut eine „reale Entwertung der Grundsicherungsleistungen“. Das Ergebnis: Die Armen würden immer ärmer. Daher sei der Forderung der FDP, die Grundlagen für die Hartz IV Berechnung unverändert zu lassen, „eine klare Absage zu erteilen“.
Forderung: Hartz IV plus 200 Euro
Wohin die Reise beim Bürgergeld gehen muss, hat der Verband schon vor Monaten deutlich gemacht. Ulrich Schneider wiederholte angesichts der neuen Daten die Forderung, die Regelsätze umgehend um 200 Euro zu erhöhen, und nach einer zeitgemäßen Berechnung der Grundsicherung.
Hartz IV Reform: Wohlfahrtsverband warnt vor Kleckerbeträgen
Wer setzt sich durch: FDP oder SPD?
Das Versprechen, dass sich etwas ändern wird, hat Hubertus Heil bereits gegeben.
„Ich bin fest entschlossen, die Art, wie wir den Regelsatz berechnen, zu verändern. Der bisherige Mechanismus hinkt der Preisentwicklung zu sehr hinterher“,
wird er von Ulrich Schneider zitiert. Auf der anderen Seite steht die FDP, die nicht mehr Geld ausgeben möchte.
Fahrrad oder Socken?
Wunsch und Wirklichkeit werden beim Bürgergeld vermutlich wieder weit auseinanderliegen. Das ist wie bei der Bescherung zu Weihnachten. Gewünscht hatte man sich das feuerwehrrote Fahrrad. Gebracht hat das Christkind dann doch wieder „nur“ die gestrickten Socken der Oma.
Quelle: Beitrag des RND vom 26.08.2022
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