„Armut macht keine Sommerpause.“ Jochen Brühl, Vorsitzender des Tafel Deutschland e.V., sieht das ehrenamtliche Angebot der Tafeln am Limit. Einige Einrichtungen betreuten aufgrund der hohen Inflation inzwischen doppelt so viele Hilfsbedürftige – Personen, die auf Hartz IV angewiesen sind, ebenso wie Rentner und Menschen mit prekärem Einkommen. Die Forderung der Tafeln: Gezielte Hilfe für armutsbetroffene Menschen und höhere Regelsätze.
Spiegelbild der Gesellschaft
Die Tafeln werden zum Spiegelbild der Gesellschaft. Sie machen sichtbar, was viele, vor allem die Politik, nicht sehen wollen: „Immer mehr Menschen in Deutschland leben in Armut“, schreiben die Tafeln in einer Pressemitteilung. Die Zahl der Kundinnen und Kunden hat sich seit Anfang des Jahres bundesweit um mehr als die Hälfte erhöht.
Doppelt so viele Hilfsbedürftige
Konkret haben 60.71 Prozent der Tafeln einen Zuwachs von bis zu 50 Prozent. Bei 22,6 Prozent haben sich die Zahlen binnen weniger Monate fast verdoppelt. Bei 7,59 Prozent sind es 100 Prozent mehr Anfragen und bei 8,94 Prozent sogar mehr als 100 Prozent neuer Kunden.
Zahlungslauf für den 200 Euro Hartz IV Sofortzuschlag hat begonnen
Betroffene stehen Schlange
Viele Betroffene, die sich an die Tafeln wenden, sind erwerbslos, haben nur ein geringes Einkommen oder müssen mit einer kleinen Rente über die Runde kommen. Einige, die den Absprung geschafft hatten, stehen wegen der hohen Lebensmittelpreise jetzt wieder Schlange bei den Tafeln.
Den Menschen fehlt es am Nötigsten
„Wir sehen deutlich, dass es den Menschen jetzt am nötigsten fehlt und rufen weiterhin zu Spenden für die Tafeln auf“,
so Jochen Brühl. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele Tafeln den Ansturm nicht mehr lange bewältigen können. 32 Prozent der Einrichtungen haben einen Aufnahmestopp eingeführt. 62 Prozent verteilen geringere Mengen und 17 Prozent die Abholhäufigkeit reduziert.
Druck belastet Ehrenamtliche
Das belastet auch die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Sie kämpfen mit aller Macht gegen die Verschwendung von Lebensmitteln und müssen zusehen, dass die Hilfe trotz aller Mühen nicht ausreicht. „Wie lange schaffen wir das noch?“, lautet die berechtigte Frage in vielen Tafeln.
Wut über Jobcenter und Sozialämter
Umso wütender ist Jochen Brühl über das Verhalten vieler Jobcenter und Sozialämter. Sie würden Hilfsbedürftige kurzerhand an die Tafeln verweisen. Dadurch entstehe der Eindruck, es handle sich um ein staatliches Angebot.
„Es ist verantwortungslos, wenn Behörden Menschen zu einer Tafel schicken, ohne sich überhaupt zu erkundigen, ob die Tafel neue Kundinnen und Kunden aufnehmen kann“,
erklärt der Vorsitzende.
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Keine Entspannung in Sicht
Aktuell rechnen die Tafeln nicht mit Entspannung, sondern eher damit, dass noch mehr Menschen Hilfe benötigen. Für sie ist es daher unverständlich, warum das Geld mit der Gießkanne verteilt wird. Von den 29 Milliarden Euro aus dem Entlastungspaket seien laut Paritätischen Gesamtverband nur zwei Milliarden Euro bei armutsbetroffenen Menschen angekommen.
Armutsfeste Regelsätze nötig
Die Geschäftsführerin des Vereins, Sirkka Jendis betont: „Jeder sechste Mensch in Deutschland lebt in Armut. Das können wir als Gesellschaft nicht länger hinnehmen.“ Jochen Brühl ergänzt:
„Die Regierung muss Soforthilfen beschließen, die Armutsbetroffene gezielt erreichen. Wir fordern zudem für das angekündigte Bürgergeld armutsfeste Regelsätze von mindestens 678 Euro.“
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