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ifo Institut: Bis 360 Euro Lohn sollen voll auf Bürgergeld angerechnet werden

Frau schockiert über Einkommensanrechnung beim Bürgergeld

Reformbedarf bei der größten Sozialreform seit 20 Jahren? Das dürfte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorkommen wie ein Schlag ins Gesicht. Laut ifo Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.) müssten nur einige Stellschrauben bei der Grundsicherung – damit dem Bürgergeld – und der Einkommensteuer neu justiert werden, um 172.000 Personen in Arbeit zu bringen und die Zahl der Vollzeitbeschäftigten spürbar zu steigern. Verlierer dieser Strategie: Singles und Paare ohne Kinder.

Transferentzug hält von Arbeit ab

Unter dem Titel „Ein aktualisierter Reformvorschlag für mehr Beschäftigung und steuerliche Entlastung“ erklären die Autoren Dr. Maximilian Blömer, Lilly Fischer und Professor Dr. Andreas Peichl ihren Ansatz. Sie machen hinsichtlich des Bürgergelds gleich im ersten Absatz ihres Beitrages (ifo Schnelldienst, 2023, 76, Nr. 09, 03-36) deutlich, dass „die hohen Transferentzugsraten in der Grundsicherung die Leistungsbeziehenden davon abhalten, mehr zu arbeiten“. Gemeint sind damit die Hinzuverdienstgrenzen, die beim Bürgergeld von Anfang an in der Kritik standen.

Einkommensanrechnung aktuell beim Bürgergeld

Mit dem Bürgergeldgesetz gilt jetzt: Die ersten 100 Euro werden als Grundfreibetrag nicht auf das Bürgergeld angerechnet. Ab 100 bis 520 Euro bleiben 20 Prozent anrechnungsfrei. Alles oberhalb von 520 Euro bis 1.000 Euro wird zu 70 Prozent angerechnet, sodass 30 Prozent anrechnungsfrei sind. Von 1.000 bis 1.200 Euro (bei mindestens einem minderjährigen Kind 1.500 Euro), bleiben nur 10 Prozent.

Aktuell bleiben bei einem Aufstocker damit höchstens 348 Euro vom Erwerbseinkommen anrechnungsfrei, ist ein minderjähriges Kind in der Bedarfsgemeinschaft, dürfen Bürgergeld-Bedürftige höchstens 378 Euro von ihrem Lohn behalten. Bei unter unter 25-Jährigen in einer Ausbildung erhöht sich der Einkommensfreibetrag auf 708 Euro bzw. 738 Euro mit Kindern. Ein Minijobber (ab 25 Jahren) kann aktuell von 520 Euro Erwerbseinkommen insgesamt 184 Euro anrechnungsfrei behalten.

48 Euro mehr Bürgergeld für Aufstocker

Änderungsvorschlag des ifo Instituts

Hier möchte das ifo Institut ansetzen und neue Grenzen ziehen,

„um die Arbeitsanreize des Bürgergeld zu erhöhen“.

Bis 360 Euro sollen bei kinderlosen Bürgergeldempfängern zu 100 Prozent einbehalten werden. Das heißt: Der komplette Verdienst wird auf das Bürgergeld angerechnet. Ab 360 Euro werden dann „nur“ noch 60 Prozent angerechnet. Damit bleiben von jedem Euro ab 361 Euro Verdienst 40 Cent im Portemonnaie der Betroffenen.

Mit dieser Regelung müsste ein kinderloser Single etwa 1.230 Euro verdienen, damit 348 Euro anrechnungsfrei bleiben. Einem Minijobber würden anstatt wie jetzt 184 Euro nur noch 64 Euro anrechnungsfrei verbleiben.

Bei Haushalten mit Kindern sollen laut Vorschlag des ifo Instituts 100 Euro als anrechnungsfreier Betrag bleiben. Bis 360 Euro sollen 80 Prozent angerechnet werden und ab 360 Euro wie bei kinderlosen Haushalten 60 Prozent.

Durch Kinder in der Bedarfsgemeinschaft erhöht sich der Freibetrag. Bei der vom ifo Institut vorgestellten Regelung hätte man bei Vollzeit zum Mindestlohn einen Freibetrag von 840 Euro monatlich, im Vergleich zu 378 Euro, die aktuell beim Bürgergeld gelten. Ein Minijobber hätte aber anstatt wie jetzt 184 Euro nur noch 164 Euro anrechnungsfrei beim Bürgergeld.

Das Ziel des ifo Institut scheint hier zu sein, den kompletten Minijob-Sektor für Bürgergeld-Bedürftige unattraktiv zu machen. Im Prinzip das gleiche Ziel wie auch die Änderungen bei der Einkommensanrechnung im SGB II seit Juli 2023 – hier wirken sich die neuen Freibeträge erst über der Minijob-Grenze von 520 Euro für Aufstocker aus.

Wohngeld und Kinderzuschlag entfallen

Die Grundsicherung soll zudem „umgebaut“ werden. Die Kritik des ifo Instituts basiert darauf, dass es derzeit zwei Grundsicherungssysteme gebe. Eines für Arbeitssuchende (Bürgergeld) und eines für Geringverdienende, die Anspruch auf Wohngeld und/ oder Kinderzuschlag haben. Dieses zweite System aus Wohngeld und Kinderzuschlag soll gänzlich abgeschafft und in das Bürgergeld integriert werden. Das vereinfache und vereinheitliche das Gesamtsystem.

Steuerreform

Beim Thema Steuern gelte es, das Ehegatten- in ein Realsplitting zu wandeln, den Kinderfreibetrag, den Grundfreibetrag (plus 500 Euro) und die Werbungskostenpauschale (plus 200 Euro) zu erhöhen. Gleichzeitig müssten Spitzen- und Reichensteuersatz um zwei Prozentpunkte angeboten werden.

Mehr geleistete Arbeitsstunden

Das Ergebnis der Reform, die laut ifo Institut keine zusätzlichen Kosten für den Staatshaushalt verursacht: Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden würde im Umfang von 184.000 Vollzeitstellen steigen.

„Gleichzeitig würden 172.000 Personen eine Beschäftigung aufnehmen“,

so Professor Dr. Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen.

Bis zu 1.110 Euro mehr

Für die einzelnen Haushaltstypen ergibt sich – ausgehend vom durchschnittlichen verfügbaren Haushaltseinkommen – folgendes Bild: Alleinstehende hätten aufs Jahr gesehen 100 Euro mehr, Alleinerziehende 251 Euro und Paare mit Kindern 634 Euro. Lediglich Paare ohne Kinder haben Einbußen von 190 Euro. Nach Zahl der Kinder gerechnet gilt: Ohne Kinder sind es 22 Euro weniger, mit einem Kind 336 Euro mehr, mit zwei Kindern 752 Euro mehr, mit drei Kindern 1.110 Euro mehr und mit vier oder mehr Kindern 177 Euro.

Anreiz oder „Strafe“

Das ist ein Vorschlag von vielen. Fraglich ist jedoch, ob es tatsächlich Anreize schafft, wenn man die Bürgergeld Zuverdienstregeln verschärft. Denn viele tasten sich eher langsam wieder an den Arbeitsmarkt heran – oder haben nur die Möglichkeit einer Teilzeit- oder Minijobstelle. Sie würden, vor allem, wenn sie dann auch noch kinderlos sind, bestraft statt bestärkt.

Bild: TeodorLazarev/ shutterstock.com