Sich im besten Licht darzustellen, wenn die Zahl der Beschwerden von Bürgergeld Bedürftigen durch die Decke geht: Da müssen Jobcenter kreativ werden und Lösungen für geschönte Statistiken finden. Ein beliebter Weg, auf den der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles aufmerksam macht: Beschweren sich Betroffene bei der Sachbearbeiterin oder dem Sachbearbeiter, fließt der Fall nicht in die Statistik ein. So demonstriert man reibungslose Abläufe. Wenn ein entsprechend hoher Anteil Beschwerden überdies als „unberechtigt“ deklariert wird, kann man extra punkten.
Willkür statt Hilfe: Wenn das Bürgergeld am befangenen Sachbearbeiter scheitert
So werden Beschwerden gehandhabt
Hierbei machen sich Jobcenter – Tacheles verweist ganz konkret und nicht zum ersten Mal auf das Jobcenter Wuppertal – den üblichen Ablauf einer Beschwerde zunutze. Denn als Ansprechpartner nennen die Behörden im Regelfall den für den Bürgergeld Bedürftigen zuständigen Mitarbeiter. Anders ausgedrückt: Das Problem soll mit der Person geklärt werden, die das Problem erst in die Welt gesetzt hat. Sei es ein fehlerhafter Bescheid, unfreundliches oder gar beleidigendes Verhalten oder aber eine viel zu lange Bearbeitungszeit. Dass man bei einem solchen Gespräch nur selten auf einen grünen Zweig kommt, sollte nicht verwundern.
Statistik wird geschönt
Wenn nun aber Beschwerden, die direkt beim Sachbearbeiter landen, nicht in der Statistik berücksichtigt werden, verschwimmt das Bild und kann man aus einer Kakophonie in Grau ein farbenfrohes, freundliches Szenario zeichnen. Denn nicht jeder Bürgergeld Bedürftige traut sich, einen Schritt weiter zu gehen. In Wuppertal etwa werden nur Beschwerden, die in schriftlicher Form beim zentralen Beschwerdemanagement vorgebracht werden, in die Statistik aufgenommen. Genau deshalb rät das Amt, sich nicht diese Stelle, sondern die zuständige Geschäftsstelle zu wenden. Dass telefonische Beschwerden dabei keine Rolle spielen – für das Jobcenter gut, für Betroffene ein Ärgernis.
Das zentrale Kundenreaktionsmanagement
Den Weg über die zuständigen Sachbearbeiter empfehlen viele Jobcenter. In Berlin wird, wenn die Unstimmigkeiten weiter bestehen, der Gang zum Kundenreaktionsmanagement empfohlen. Bleibt auch hier eine Lösung aus, kommt die Beschwerdestelle SGB II ins Spiel, die 2015 eingerichtet wurde. Beim Jobcenter Köln geht es vom Sachbearbeiter zur Teamleitung oder zur Jobcenter-Leitung und dann zum zentralen Kundenreaktionsmanagement. Diesen Weg schlägt auch die Stadt Essen vor.
100.000 Fälle im Jahr
Laut Informationen der Bundesagentur für Arbeit (BA) landen im Schnitt 100.000 Anliegen „unserer Kundinnen und Kunden“ beim Kundenreaktionsmanagement (KRM). Die BA nennt Zufriedenheit als ihr Ziel und erklärt: „Ihr Feedback ist für uns als KRM der Bundesagentur für Arbeit (BA) wichtig, um eine Rückmeldung über die Qualität unserer Dienstleistungen zu erhalten und Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen.“ Für Anregungen und Co. gibt es außerdem ein Formular.
Hier schneiden Jobcenter beim Bürgergeld am wenigsten schlecht ab
Forderung: eine externe Beschwerdestelle
Selbst, wenn das KRM 100.000 Fälle bearbeitet: Sollte wie in Wuppertal die überwiegende Mehrheit der Beschwerden bei der Statistik ausgeblendet werden, kann es keine Verbesserung geben. Der Verein Tacheles spricht sich daher für eine Reform der Beschwerdestrukturen aus und fordert wie der Verein für öffentliche und private Vorsorge eine externe Stelle. Nur so lasse sich verhindern, dass Probleme kleingeredet werden und die Schuld immer nur bei Bürgergeld Bedürftigen gesucht wird.