Mehr als 50.000 Euro sollte ein Bürgergeld-Empfänger an das Jobcenter zurückzahlen, weil er vor über zehn Jahren seine Ausbildung abgebrochen und sich damit sozialwidrig verhalten hat. Doch dieser Forderung schob das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen einen Riegel vor. Die Richter sahen keinen Zusammenhang zwischen dem Ausbildungsabbruch und der späteren Hilfebedürftigkeit des Leistungsempfängers. Damit verstoße das Jobcenter gegen das Übermaßverbot (Az. L 11 AS 346/22).
Leistungen um 30 Prozent gekürzt
Der Fall: Gegen die Bürgergeld Rückforderung durch das Jobcenter hatte ein 28-Jähriger geklagt. 2012 war ihm der Ausbildungsplatz gekündigt worden. Begründung: unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz. Bereits dafür hat das Jobcenter seinerzeit die Rote Karte gezückt und eine 30-prozentige Leistungskürzung vorgenommen.
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Jobcenter sieht grob fahrlässiges Verhalten
Später zog man den großen Hammer aus der Schublade und warf dem Bürgergeld-Empfänger vor, seine Hilfebedürftigkeit selbst grob fahrlässig herbeigeführt zu haben. Dazu blickte man dann nicht ein paar Wochen oder Monate, sondern bis zu siebeneinhalb Jahre zurück. Wäre die Berufsausbildung regulär abgeschlossen worden, hätte der Betroffene gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt und wäre nicht auf Leistungen des Jobcenters angewiesen, so die Begründung. Dadurch summierte sich für die Zeit von Dezember 2015 bis September 2019 eine Rückforderung in Höhe von knapp 51.000 Euro.
Abbruch nicht der Grund für Arbeitslosigkeit
Nachdem sich bereits das Sozialgericht Braunschweig (Az. S 28 AS 447/21) mit dem Vorgang beschäftigt hatte und die Auffassung des Jobcenters vertrat, folgte die Berufungsverhandlung vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Hier bestätigte man die Argumentation des Bürgergeld-Empfängers, dass „sein damaliges Verhalten nicht mehr als Ursache seiner jetzigen Hilfebedürftigkeit gewertet werden“ dürfe.
Nach dreieinhalb bis siebeneinhalb Jahren lasse sich keine Kausalität mehr zwischen dem Ausbildungsabbruch und dem SGB-II-Leistungsbezug herstellen. Oder anders ausgedrückt: Dass die Lehre abgebrochen wurde, sei nicht die „rechtlich wesentliche Ursache“ der Arbeitslosigkeit.
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Widerspruch zum Grundsatz des Forderns und Förderns
Wenn das Jobcenter aufgrund einer „Jugendsünde“ – die auch das LSG als sozialwidrig bezeichnet – erhebliche Ersatzansprüche stelle, widerspreche dies dem „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz des Forderns und Förderns“. Man könne bei „einem unkooperativen, schwer vermittelbaren Arbeitslosen“ nicht davon ausgehen, dass er mit einer Berufsausbildung permanent gearbeitet hätte.
Mit den Ersatzansprüchen gegen den heute auf das Bürgergeld angewiesenen Kläger würde man jede Erwerbsperspektive zerstören. Zudem käme es häufiger vor, dass eine Ausbildung abgebrochen wird. Während Außenstehende ein solches Verhalten direkt als unklug und überstürzt erkennen, käme diese Erkenntnis bei Betroffenen meist erst später.
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