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Klage: Hartz IV Regelsätze 2021 und 2022 verfassungsgemäß?

Die Hartz IV Regelsätze der Jahre 2021 und 2022 als „evident“ unzureichend zu bezeichnen ist in etwa so, als würde man die Aussage doppelt unterstreichen, gelb markieren und am Rand mit einem roten Ausrufezeichen versehen. Kurzum: Rechtsanwalt Lars Schulte-Bräucker meint es verdammt ernst, wenn er gegen die Regelbedarfe nach dem SGB II und SGB XII zwei Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen führt und Bürgergeld Bedürftigen rät, aktiv gegen die Bewilligungsbescheide vorzugehen.

Landessozialgericht soll Bedarfe prüfen

Das Ziel des Anwalts: Vom Landessozialgericht prüfen zu lassen, ob die Regelsätze – seinerzeit Hartz IV, heute Bürgergeld – überhaupt noch ausreichend bemessen sind. Daran hegen nicht nur Bedürftige Zweifel, sondern auch so ziemlich jeder Sozialverband in der Bundesrepublik. Und die Lage verschlechtert sich zusehends. Das Problem der mangelnden Teilhabe, auf das immer wieder aufmerksam gemacht wurde, hat sich inzwischen zu einer katastrophalen Unterdeckung ausgeweitet.

2021 zu 2022: plus 0,7 Prozent

Die beiden Verfahren beziehen sich auf die Regelbedarfe für die Jahre 2021 (Aktenzeichen L 12 AS 741/23) und 2022 (Aktenzeichen L 12 AS 668/23). Zur Erinnerung, hier noch einmal die Hartz IV Regelsätze für einen Single der vergangenen Jahre:

  • 2020: 432 Euro
  • 2021: 446 Euro (plus 3,2 Prozent)
  • 2022: 449 Euro (plus 0,7 Prozent)

Das Bürgergeld wurde dann in 2023 von 449 Euro auf 502 Euro angehoben. Wenn sich aber herausstellt, dass die Hartz IV Sätze bereits in den Vorjahren nicht verfassungsgemäß angepasst wurden, entspricht auch der Bürgergeld Regelsatz mangels falscher Basis nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Klagegrund: galoppierende Inflation

Die Begründung, weshalb Lars Schulte-Bräucker, die Regelsätze als „evident unzureichend“ moniert, fußt auf mehreren Aspekten. Allen voran: die Inflation. Für das gesamte Jahr 2021 habe die Inflationsquote 3,1 Prozent betragen. Und 2022 habe die Teuerung im Vergleich zu den Vorjahresmonaten teils über zehn Prozent gelegen, über alle Monate hinweg bei 7,9 Prozent. Ganz zu schweigen von den „exorbitant gestiegenen“ Energiepreisen.

Bürgergeld-Haushalte haben eine höhere Inflationsbelastung

Das Fazit:

„Insofern führt der erhebliche Anstieg der Inflation spätestens seit März 2022 (…) inzwischen zu einer offensichtlichen und erheblichen Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter.“

Bundesverfassungsgericht wird missachtet

Schulte-Bräucker wirft der Politik zudem vor, nicht zeitnah auf die Teuerung reagiert zu haben. Ein solches Vorgehen hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 2014 gefordert (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, juris Rn. 144). Dort heißt es:

« Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten. »

Auf diesem Umstand fußen auch die Musterklagen, die vom Sozialverband VdK und dem Sozialverband Deutschland initiiert wurden.

Verfassungswidrig: Sozialverbände klagen gegen zu geringen Hartz IV Regelsatz

Tarifabschluss versus Bürgergeld

Punkt zwei, mit dem Lars Schulte-Bräucker gegen die nicht ausreichenden Regelsätze zu Felde zieht, ist der Tarifabschluss für die 2,5 Millionen Beschäftigen im öffentlichen Dienst. In den untersten Lohngruppen entspreche die Vereinbarung einer Steigerung um 16,9 Prozent. Eine solche Entgeltanpassung stehe in keinem Verhältnis zur marginalen Erhöhung von Hartz IV und dem Bürgergeld.

Ein steiniger Weg

Man darf gespannt sein, ob das Landessozialgericht diesen Argumenten folgt. Die Einschätzung dessen, was angemessen ist oder nicht, scheint ohnehin schwierig und selbst vor Gericht sehr subjektiv gefärbt zu sein. Das Sozialgericht Düsseldorf etwa argumentierte bei einer der Musterklagen (S 40 AS 1622/22 vom 21.02.2023) der Sozialverbände, das Niveau der SGB II Leistungen sei so hoch, dass Gering- und Normalverdiener „nicht über ein wesentlich höheres Einkommen verfügen als Sozialleistungsbezieher“.

Vielleicht erkennt das Landessozialgericht, dass Fortschreibung und Inflation schon lange weit auseinanderklaffen. Wirtschaftlich würde man von einem negativen Realzins und damit einer Geldentwertung sprechen.