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Krankenkasse: Zweiklassen-Gesellschaft auch bei Patientenakte

Jemand hat Dokumente mit "TOP SECRET" vor sich aif dem Schreibtsich

Datenschutz wird in Deutschland großgeschrieben. So groß, dass Verbrecher davonkommen, weil deren persönliche Daten höher gewertet werden als die Rechte der Opfer. So groß, dass Verstöße teils strenger geahndet werden als Gewaltdelikte. Daher ist es verwunderlich, dass trotz massiver Bedenken zum 29. April 2025 die elektronische Patientenakte (ePA) „durchgedrückt“ werden soll – und das nach dem Zweiklassenprinzip. Kassenpatienten müssen aktiv widersprechen, Privatversicherte dürfen frei entscheiden – schöne Alte Welt.

Kritik von allen Seiten

Die ePA steht in der Kritik von Datenschützern, Ärzten und Sicherheitsexperten. Denn der Schutz der sensiblen Daten ist kaum gewährleistet – ob nun bei Malochern, Rentnern oder Bürgergeldempfängern. Außen vor sind (noch) alle in einer privaten Krankenversicherung und damit jene mit hohem Gehalt.

Worum geht es? Der Chaos Computer Club hat nachgewiesen, dass es relativ einfach ist, Zugriff auf Patientendaten zu erhalten. Da steht dann nicht nur, dass Herr Müller im Januar über Husten klagte, sondern auch, dass Frau Peters mit psychischen Problemen beim Therapeuten war. Das kann jeder lesen, der sich einen gültigen Heilberufs- oder Praxisausweis beschafft. Mängel in den Ausgabeprozessen machen es möglich.

Datenlücken bei ePA

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, erklärte aufgrund dessen, dass er Patienten die elektronische Akte nicht empfehlen würde. Dem pflichtet der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Michael Hubmann bei: „Es ist frustrierend, wie die Verantwortlichen versuchen, eine für professionelle Angreifer leicht zu überwindende Datenlücke kleinzureden und den Eindruck zu erwecken, die ePA würde die Datensicherheit in Deutschland sicherstellen.“

Gläserner Patient

Diese Probleme und Sorgen sind schon lange bekannt. Bereits im Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten für das Jahr 2023 werden die Widerspruchslösung bei der ePA, die möglichen Risiken und der Eingriff in die Grundrechte Betroffener kritisiert. Befürchtet wurde seinerzeit, dass Krankenkassen die Möglichkeit der Profilbildung haben und damit den gläsernen Versicherten schaffen.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, mahnt dabei vor allem ein Problem an: Seitens der Politik sei stets vermittelt worden, Versicherte hätten die Möglichkeit, einzelne Dokumente nur für bestimmte Ärzte freizugeben. Dem sei aber nicht so. Das heißt, der Orthopäde sieht beispielsweise, dass jemand seit Jahren in psychotherapeutischer Behandlung ist. Es ist lediglich möglich, die komplette Akte für einen Facharzt zu sperren.

Bundesgesundheitsministerium redet sich raus

Kurzum: Im Raum steht von vielen Seiten die Forderung, die Einführung der elektronischen Patientenakte zu stoppen. Dazu sieht die Noch-Regierung oder vielmehr der Noch-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jedoch keinen Anlass. Ein Mitarbeiter aus seinem Haus wurde im Rahmen der Bundespressekonferenz auf die Sicherheitslücken hingewiesen. Die Antwort: Diese Lücken seien weitgehend ausgeräumt. Heißt im Klartext: Die Patientendaten sind nach wie vor nicht zu 100 Prozent sicher.

Kein Einfluss auf private Verträge

Und auch die Nachfrage, weshalb Privatversicherte sich frei für die ePA entscheiden können, wohingegen Kassenpatienten aktiv widersprechen müssen, wurde nur ausweichend beantwortet. Die ePA sei für alle freiwillig. Man müsse nur irgendwie widersprechen. Der Staat habe dabei keinen Einfluss auf private Versicherungen. So leicht kann man es sich machen und die Zweiklassenmedizin zumindest bedingt auch auf den Datenschutz übertragen. Betroffen von den Datenlücken und generellen Problemen sind dann vor allem die einfachen Arbeiter und Angestellten sowie Bürgergeld Bedürftige. Und das nur, weil sich ein scheidender Politiker mit der ePA ein Denkmal setzen möchte – ein denkwürdiges.

Titelbild: Polonio Video / shutterstock

André Maßmann

André Maßmann