100% Kürzung des Regelsatzes, dies sind die neuen Totalsanktionen, die beim Bürgergeld seit dem 29.03.2024 für Totalverweigerer gelten. Doch ein Blick in interne Papiere der Bundesagentur für Arbeit – die unserer Redaktion vorliegen – zeigen, dass der Gesetzgeber hier etwas versucht umzusetzen, was wohl nur die Bürgergeld Kritiker beschwichtigen soll.
Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die neuen Leistungsminderungen als Luftnummer, die von den Jobcentern kaum verhängt werden können. Die Anforderungen an die Durchsetzung des vollständigen Entzugs des Regelsatzes sind so hoch, dass diese – wenn überhaupt – nur in den seltensten Fällen für volle zwei Monate durchgesetzt werden können.
Wichtig: Kosten der Unterkunft und Heizung, Mehrbedarfe sowie Krankenversicherung sind generell nicht von Sanktionen umfasst und werden auch trotz bestehender Leistungsminderungen weiterhin gezahlt.
Damit der vollständige Entzug des Regelsatzes (z. Zt. 563 Euro/ Monat) nach § 31a Abs. 7 SGB II vom Jobcenter überhaupt in Betracht gezogen werden kann, muss der Hilfebedürftige wiederholt und willentlich ein konkretes und zumutbares Arbeitsangebot ablehnen, z.B. einen vorliegenden Arbeitsvertrag nicht unterschreiben oder eine konkrete Stelle nicht antreten.
Voraussetzung ist allerdings, dass diesem Hilfebedürftigen im vergangenen Jahr (12 Monate) bereits die Leistungen per Sanktionsbescheid gekürzt wurden, weil er sich weigerte, eine Arbeitsstelle, Ausbildung oder geförderte Maßnahme nach § 16e SGB II ohne wichtigen Grund anzutreten oder diese abgebrochen hat. Gleiches gilt, wenn im letzten Jahr bereits eine Sanktion verhängt wurde, weil der Hilfebedürftige beim Arbeitslosengeld mit einer Sperrzeit belegt wurde oder zumindest die Voraussetzungen hierfür erfüllt waren – was regelmäßig der Fall ist, wenn man seine Stelle selbst ohne triftigen Grund aufgibt, sei es durch eine Eigenkündigung oder Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages. Sanktionen wegen Meldeversäumnissen nach § 32 SGB II zählen nicht zur Vorstufe der Totalsanktionen.
Nur wenn bereits im Vorfeld eine der oben genannten Pflichtverletzungen nach 31 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 SGB II zu einer Leistungsminderung geführt haben, kommt die Totalsanktion auf den Bürgergeld Regelsatz in Betracht – und dies ausschließlich bezogen auf die wiederholte Ablehnung einer konkreten Arbeitsstelle, die tatsächlich und unmittelbar angetreten werden kann.
Das Nichterscheinen zu einem Vorstellungsgespräch oder das Nichtbewerben auf Stellenangebote etc. rechtfertigen keinen vollständigen Entzug des Regelsatzes nach § 31a Abs. 7 SGB II – hier kämen lediglich gestaffelte Sanktionen nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II in Betracht. Gleiches gilt für eine wiederholte Ablehnung einer Ausbildung oder einer geförderten Maßnahme.
Konkretes Arbeitsangebot bedeutet hierbei, dass praktisch nur die Unterschrift unter dem individuellen Arbeitsvertrag verweigert wird oder man die Stelle nicht antritt, nachdem der Arbeitsvertrag bereits unterzeichnet wurde. Unabhängig des theoretischen Arbeitsbeginns laut Arbeitsvertrag muss der Hilfebedürftige, der die zumutbare Arbeitsstelle verweigert, im Vorfeld vom Jobcenter über die Rechtsfolgen – also die mögliche Streichung des Regelsatzes in Höhe von 563 Euro für zwei Monate – belehrt und ebenso über die Gründe bzw. zu Besonderheiten der persönlichen Situation (z.B. familiäre oder gesundheitliche Belange) die zur Weigerung führen, im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung angehört werden. Im Dokument der BA heißt es zudem, dass Betroffene nötigenfalls auch zu Hause aufgesucht werden sollen, wenn sie zur Klärung des Sachverhalts nicht beim Jobcenter vorstellig werden.
Bereits in dieser Zeit zur Klärung der Gründe der Verweigerung kann sich der potentielle Arbeitgeber bereits nach anderen Mitarbeitern umschauen und die ausgeschriebene Stelle anderweitig besetzen oder das Arbeitsangebot zurückziehen. Dies hat zur Folge, dass damit das konkrete Arbeitsangebot nicht mehr vorliegt und somit die Grundlage zur Verhängung einer Totalsanktion entzogen wird. Die vollständige Streichung des Regelsatzes kommt somit nicht mehr in Betracht. Wird das konkrete Arbeitsangebot zurückgezogen, nachdem bereits die Totalsanktion verhängt wurde, muss diese unmittelbar wieder aufgehoben werden – einen Mindestzeitraum für den vollständigen Entzug des Regelsatzes gibt es nicht.
Fazit zu Totalsanktionen
Einsparungen mit den Vollsanktionen werden höchstwahrscheinlich nicht einmal dazu reichen, um die Kosten zu decken, die zum Umschreiben von Gesetzen aufgewendet werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Szenario eintritt, dass Leistungsbedürftigen für volle zwei Monate der komplette Regelbedarf gestrichen wird – Mehrbedarfe, Krankenversicherungsbeiträge sowie Kosten der Unterkunft und Heizung etc. bleiben außen vor – geht nahezu gegen Null. Dies auch vor dem Hintergrund, dass potentielle „Totalverweigerer“ nicht einmal einen Anteil von einem Prozent unter den Sanktionierten in 2023 ausmachten – wir haben berichtet.
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