Bezahlbarer Wohnraum? Für viele Haushalte mit geringem Einkommen und Rentner längst ein Glücksgriff. Bei Hartz IV Bedürftigen zeigt sich die Misere, wenn die vom Amt definierten Mietrichtwerte nicht mehr mit der tatsächlichen Miete Schritt halten. Dann muss ein immer größerer Teil des Regelsatzes für die Wohnkosten aufgewandt werden. Wie schlimm die Lage ist, zeigt das Beispiel Berlin. Hier hat die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales jetzt aktuelle Zahlen genannt.
75.000 Bedarfsgemeinschaften liegen über dem Mietrichtwert
Laut „Berliner Zeitung“ lagen im April 75.000 von 214.000 Hartz IV Bedarfsgemeinschaften mit ihrer Miete über dem zulässigen Richtwert (Dezember 2019: 65.000). Die Abgeordneten der Linken, die den Datensatz angefragt hatten, erklärten: „Das zeigt, dass wir die Mietrichtwerte an die gestiegenen Mieten anpassen müssen.“
Wohnkosten: So viel müssen Haushalte bei Miete & Co. draufzahlen
Viele Städte reagieren bereits
Das ist in vielen Städten bereits geschehen. Dort hat man auf die steigenden Mieten reagiert und neue Richtwerte für Miet- und Heizungskosten festgelegt. In Leipzig gelten die neuen Werte ab dem 1. Oktober. Auch in Bottrop wurden für Hartz IV Bedürftige und Empfänger von Sozialhilfe neue Fakten geschaffen.
Berlin: 426 Euro Kaltmiete für einen Single
Die Mietrichtwerte in der Bundeshauptstadt gelten bereits seit dem 1. Juli 2021. Eine Wohnung für einen alleinstehenden Hartz IV Bedürftigen darf demnach 50 Quadratmeter groß sein und die Bruttokaltmiete 426 Euro monatlich betragen. Für eine Alleinerziehende mit Kind sind es 65 Quadratmeter und 515,45 Euro.
19.000 Haushalte müssen draufzahlen
Zu einem echten Problem werden die Vorgaben für Hartz IV Haushalte, wenn die Miete vom Jobcenter als unangemessen eingestuft wird. Das betraf in Berlin im April 19.000 Bedarfsgemeinschaften mit im Schnitt 152 Euro, die nicht vom Amt erstattet werden.
Bundesweit sind 15,4 Prozent aller Leistungsempfänger betroffen
Bundesweit, so die Zahlen für das zurückliegende Jahr, waren 15,4 Prozent der Hartz IV Bedürftigen gezwungen, einen Teil der Miete über den Regelsatz zu bezahlen, im Schnitt 91 Euro. Der Wert dürfte inzwischen weitaus höher liegen. Für einen Single heißt das: 449 Euro Hartz IV abzüglich 91 Euro für die nicht angemessene Miete: macht 358 Euro. Um die Berliner Linke zu zitieren: Damit „ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich“.
Corona-Schutzschirm und Bürgergeld-Regelung
Das gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass viele Hartz IV Bedürftige derzeit noch unter dem Corona-Schutzschirm stehen. Bis zum 31. Dezember 2022 werden Miete und Heizkosten sechs Monate ab Antragstellung in voller Höhe anerkannt (sofern sie nicht schon vor dem 1. März 2020 als unangemessen einstuft worden waren).
Ähnlich soll beim Bürgergeld verfahren werden. Laut Referentenentwurf zum Bürgergeld werden „in den ersten zwei Jahren des Leistungsbezugs Karenzzeiten für Wohnen und Vermögen eingeführt“.
Auf die Karenz folgt der Hammer
Der dicke Hammer kommt im Anschluss. Stuft das Jobcenter die Miete als nicht angemessen ein, folgt ein Kostensenkungsverfahren. Das heißt: Man muss binnen sechs Monaten die Ausgaben für die Wohnung reduzieren – was nur durch Umzug möglich ist – oder in den sauren Apfel beißen und die Miete teilweise vom Regelsatz bestreiten.
Es droht Ghettoisierung
Da die Mieten stetig steigen, dürften die meisten Betroffenen über kurz oder lang zum Umzug gezwungen werden. Weil die Mietrichtwerte nicht den Tatsachen entsprechen, muss das gewohnte Umfeld verlassen werden und man findet sich irgendwo in einem Randbezirk wieder. Dann passiert genau das, wovor Städteplaner und Sozialverbände seit Jahren warnen: eine Ghettoisierung.
Protesttag des Bündnisses Mietenstopp
Dem gilt es entgegenzuwirken. Deshalb machen auf Twitter unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Paritätische Wohlfahrtsverband auf den bundesweiten Protesttag des Bündnisses Mietenstopp (@MietenstoppDE) am 8. Oktober 2022 aufmerksam.
Mieterhöhungen begrenzen
Die drei zentralen Bausteine der Aktion: Mieterhöhungen sollen begrenzt werden, im Bestand flächendeckend für sechs Jahre. Die Mietpreisbremse müsse scharf gestellt werden und Strafen für Mietwucher vorsehen. Und es gelte, die Themen Klimaschutz und Wärmewende in Form einer fairen energetischen Gebäudesanierung sozialverträglich zu gestalten.
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