Höflich ausgedrückt, ist es Kritik, mit der Bürgergeld Bedürftige Tag für Tag leben müssen. Im Klartext: Betroffene werden beleidigt, belehrt und unter Generalverdacht gestellt, sich auf Kosten der Gesellschaft einen lauen Lenz zu machen. Diese Hasstiraden basieren zumeist auf Fake News. Dem soll das Online-Spiel „Bürgergeld-Bingo“ entgegenwirken und bei Kritikern bestenfalls für einen Perspektivenwechsel sorgen – was allerdings eher fraglich ist.
Sinnlose Experimente
Experimente, wie weit man eine Woche, einen Monat oder ein Vierteljahr mit dem Bürgergeld kommt, gibt es zuhauf. Teils sind es zig Euro, die „Testfamilien“ trotz Grundsicherung auf die Seite legen können. Das mag sein, spiegelt aber nicht die Lebenswirklichkeit wider, wenn zunächst die Ersparnisse schmelzen und dann irgendwann die Stromnachzahlung oder die Reparatur der Waschmaschine zur finanziellen Zerreißprobe wird. Diese Probleme sehen viele nicht, oder genauer: Diese Probleme will niemand sehen.
Bürgergeld-Experimente stellen Bedürftige als unfähig dar
Diskussion versachlichen
Die Diakonie Deutschland, die Selbstorganisation von Menschen mit Armutserfahrung Armutsnetzwerk e.V., der Evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt Bayern haben sich deshalb vorgenommen, die Diskussion um das Bürgergeld zu versachlichen. Für diese Zwecke hat Philip Büttner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt Bayern das Spiel „Bürgergeld-Bingo“ entwickelt.
Bürgergeld nachvollziehbar machen
Das Spiel soll
„mit ein paar Mausklicks einen Perspektivwechsel ermöglichen und den Mangel nachvollziehbar machen“.
Dazu muss man seine eigenen Ausgaben auf zwölf Bereiche – unter anderem Ernährung, Kommunikation, Gesundheit und Gastronomie – aufteilen. Die Hoffnung dahinter: Wer ernsthaft versuche, mit 502 Euro (dem Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen) die nötigsten Ausgaben zu bestreiten, merke, wie schnell man ins Minus gelange.
Geld reicht nicht aus
Dabei wiederholen die Verbände Aussagen, die schon ewig im Raum stehen:
„Wer sich gesund ernähren, die Stromrechnung bezahlen und ein Minimum an Mobilität und sozialer Teilhabe genießen will, kommt mit dem Geld nicht aus.“
Der Wunsch, dass sich Kritiker über das Spiel in die Lage Bürgergeld Betroffener hineinversetzen, wird sich damit nur schwer erfüllen lassen. Dazu kursieren zu viele „Spartipps“ im Netz und wird von Menschen, die noch nie mit der Grundsicherung konfrontiert waren, erklärt, wie man günstig kocht oder einkauft.
Vollwertige Mahlzeiten sind nicht nur für Bürgergeld Bedürftige Luxus
Ein Spiel mit dem Feuer
Das Spiel ist gut gemeint, hat aber einen Schwachpunkt: Man geht davon aus, dass die Menschen ehrlich sind. Man bittet sogar darum, auch nötige Anschaffungen, Reisen und Jahresbeiträge auf den Monat umzurechnen. Damit schafft man kein Faktenwissen, keine Empathie und sorgt auch nicht für mehr Respekt und Verständnis. Schlimmstenfalls geht der Schuss nach hinten los, weil plötzlich jeder weit weniger ausgibt als ein Bürgergeld Bedürftiger.
Zum Spiel: Bürgergeld-Bingo: Wie würden Sie von 502 Euro leben?