Die „schwierigen Zeiten“, auf die Politiker die Bundesbürger einstimmen, sind für viele Haushalte gleichbedeutend mit Angst. Etwa der Angst, die Miete oder den Strom nicht mehr bezahlen zu können. Wie hart die Zeiten sind, bringt die Sprecherin für Arbeitsmarkt und Sozialpolitik der Linksfraktion im Bundestag, Jessica Tatti auf den Punkt: Demnach müssen Hartz IV Bedürftige aufgrund der Inflation inzwischen rein theoretisch sechs Tage im Monat hungern.
5,19 Euro täglich für Nahrungsmittel
Die Aussage von Jessica Tatti basiert auf einer simplen Rechnung. Ausgehend von 7,4 Prozent Inflation (der Wert ist inzwischen sogar höher) und 449 Euro Hartz IV für einen Single, fehlen monatlich 33 Euro. Setzt man diesen Betrag in Bezug zu 5,19 Euro, die der Regelsatz täglich für Nahrung vorsieht, heißt das rein rechnerisch: „6 Tage kein Geld für Essen.“
Vorwurf der Milchmädchenrechnung
Auf Twitter, wo sich die Politikerin zu den Folgen der Inflation äußert, wird ihr vorgeworfen, es handle sich um eine Milchmädchenrechnung oder die Aussage klemme. Zweifelsohne ist es ein eher einfacher Ansatz. Man könnte auch weit mehr in die Tiefe gehen, den Regelsatz zerpflücken und in Relation zu den spezifischen Inflationsraten setzen.
Lebensmittel – Inflation über 11 Prozent
Dazu eine – ebenfalls sehr einfache – Rechnung, bei der wir die einzelnen Bedarfe im Hartz 4 Regelsatz und den spezifischen Inflationswert berücksichtigen.
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren:
155,82 Euro; 10,7 Prozent = plus 16,67 Euro
Freizeit, Unterhaltung, Kultur:
43,82 Euro; 4,3 Prozent = plus 1,88 Euro
Verkehr:
40,27 Euro; 16,3 Prozent = plus 6,56
Post und Telekommunikation:
40,15 Euro; 0,0 Prozent = plus/minus 0,00 Euro
Wohnungsmieten, Energie und Wohninstandhaltung:
Strom: 36,42 Euro; 21,5 Prozent = plus 7,83 Euro
Rest: 1,65 Euro; 9,2 Prozent = plus 0,15 Euro
Bekleidung, Schuhe:
37,26 Euro; 3,2 Prozent = plus 1,19 Euro
Andere Waren und Dienstleistungen:
35,77 Euro; 2,5 Prozent = plus 0,89 Euro
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände, laufende Haushaltsführung:
27,35 Euro; 6,8 Prozent = plus 1,86 Euro
Gesundheitspflege:
17,14 Euro; 1,1 Prozent = plus 0,19 Euro
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen:
11,73 Euro; 7,2 Prozent = plus 0,84 Euro
Bildungswesen:
1,62 Euro; 1,5 Prozent = plus 0,02 Euro
In der Summe ergibt sich eine Teuerung von 38,08 Euro – auf den ohnehin schon zu niedrig bemessenen Regelsatz. Damit wären es dann sogar sieben Tage ohne Essen. Rechnet man die Ersparnis durch das 9-Euro-Ticket mit ein (31,27 Euro), bliebe immerhin ein Tag, an dem das Geld nicht für Nahrung reicht. Allerdings ist das Ticket zeitlich begrenzt und wird nicht von jedem genutzt.
Das Geld reicht vorne und hinten nicht
Auch das ist eine Milchmädchenrechnung. Doch es geht hier weniger um exakte Zahlen, sondern um die Erkenntnis, dass ein Punkt erreicht ist, an dem etwas passieren muss. Der Hartz IV Regelsatz reicht aufgrund der Teuerung in vielen Haushalten vorne und hinten nicht.
Auf Twitter schreibt eine Userin, dass selbst mit „Umschichten“ 30 bis 150 Prozent höhere Lebensmittelpreise nicht mehr aufgefangen werden können. Auch Familien mit prekärem Einkommen und Rentner stehen vor diesen kaum lösbaren finanziellen Herausforderungen.
Hartz 4 reicht kaum für Lebensmittel – Verband fordert Zuschuss
Inflation spaltet die Gesellschaft
Es will schon etwas heißen, wenn Bankenpräsident Christian Sewing vor den Folgen der Inflation warnt und von einer drohenden Spaltung der Gesellschaft spricht. Hinzu kommen die Hilferufe der Archen und Tafeln, die sich dem Ansturm Hilfebedürftiger kaum mehr gewachsen sehen.
Die Aussage „6 Tage kein Geld für Essen“ ist deshalb eher sinnbildlich für die Verzweiflung Hartz IV Bedürftiger und die Sorgen vieler Haushalte, auf die seitens der Ampelkoalition nicht reagiert wird.