Quote machen mit dem Bürgergeld hat bei stern TV offenbar Tradition und scheint auch den gewünschten Erfolg zu haben. So sehr, dass der Streit um den Hartz IV Nachfolger, die soziale Hängematte und die vielen faulen Betroffenen in den sozialen Medien stundenlang nachhallt. Dazu trägt die bewährte Taktik bei, Bürgergeld-Betroffene gezielt gegen Geringverdiener auszuspielen – mit fragwürdigen Experimenten und Aussagen, die eines der beiden „Lager“ garantiert triggern.
229 Euro mehr Bürgergeld
Auf der Internetseite des Magazins findet man im „Social Content“ zwei konträre Meinungen zum Bürgergeld. Carsten Linnemann von der CDU möchte es abschaffen und betont, man müsse sich Geld selbst erarbeiten. Katja Kipping von der Partei „Die Linke“ fordert indes 229 Euro mehr Bürgergeld, damit die Regelsätze armutsfest seien und Hartz IV überwunden werden könne. Kurzum: zwei Extreme und damit Garanten für heftige Diskussionen.
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Fragwürdige Experimente
Garniert man die Bürgergeld-Debatte dann noch mit einem Experiment, wie gut es sich mit den staatlichen Leistungen leben lässt, ist die vom Sender gewünschte Antwort auf die Frage, ob mit dem Bürgergeld zu viel oder immer noch zu wenig gezahlt wird, klar. Das spiegelt sich auch im Ergebnis der Umfrage wider. 81 Prozent der Zuschauer sprechen sich gegen eine Erhöhung des Bürgergelds aus. 19 Prozent wären dafür.
Nichtssagende Momentaufnahme
Das Problem: Bürgergeld-Experimente sind immer nur Momentaufnahmen ohne echte Aussagekraft. Wenn nun also einen Monat, eine Woche oder vielleicht auch ein Jahr lang getestet wird, wie es sich mit der Grundsicherung lebt, wird die Realität verzerrt. Denn mit und vom Bürgergeld zu leben, lässt sich nicht nachstellen. Jeder hat einen anderen Hintergrund.
Hinzu kommt: Sieht man nur den Regelsatz, nicht aber den Druck vom Jobcenter und das immer größer werdende Stigma, einst als „Hartzer“, jetzt als Bürgergeld-Empfänger, wird nur eine Seite Medaille gezeigt. Und selbst wenn man es einen Monat schafft, trotz Grundsicherung etwas auf die Seite zu legen, tendieren die Ersparnisse mit der nächsten größeren Reparatur, aufgrund unerwarteter Ausgaben oder eben ständig steigender Strompreise ganz schnell gegen Null.
Betroffenen geht es viel zu gut
Mit dem Beitrag hat stern TV zumindest eines geschafft: Den Streit um das Bürgergeld neu entfacht. Stammtisch-Parolen wie
„Arbeitslosen in Deutschland geht es einfach zu gut“
werden wieder hervorgekramt. Oder:
„Welches Land fängt seine Bürger in einer sozialen Hängematte auf, um sie nicht durchs soziale Raster fallen zu lassen.“
Auf der anderen Seite Wut über die Aussagen von Carsten Linnemann. Hinzu gesellt sich offene Kritik an den Machern der Sendung. Aufstacheln statt informieren, lautet einer der Vorwürfe. Der andere betrifft falsche beziehungsweise fehlerhafte Berechnungen.
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Keine zielführende Diskussion
Eine zielführende Diskussion war ohnehin nicht zu erwarten. Dafür polarisiert das Bürgergeld zu sehr. Daher bleibt alles beim Alten. Statt aufeinander zuzugehen, buddelt man fleißig an einem immer tiefer und breiter werdenden Graben quer durch die Gesellschaft. Dabei gibt es Vorschläge von Gewerkschaften und Sozialverbänden, die alle Seiten betreffen: faire Löhne, faire Regelsätze und faire Renten. Doch statt die Probleme in ihrer Gesamtheit zu sehen, pickt man sich nur sein Thema heraus und gleichzeitig auf den anderen herum.
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