Gegen das Bürgergeld zu sein oder zumindest gegen eine Erhöhung der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist derzeit populärer denn je. Ein Trend, den einige Politiker nur allzu gerne aufgreifen und dabei trotz besseren Wissens auch ganz bewusst Falschinformationen streuen. Damit profilieren sie sich „auf dem Rücken der verletzlichsten Menschen unserer Gesellschaft“, warnt Professor Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Anpassung löst Welle der Empörung aus
„Arbeit muss sich lohnen“, „härtere Sanktionen für Bürgergeldempfänger“ oder „der Lohnabstand ist nicht mehr gegeben“: Gängige Argumente, mit denen CDU, CSU, AfD und teils auch die FDP gegen die Fortschreibung des Bürgergelds zum kommenden Jahr wettern. Dass 12,2 Prozent mehr bei den Regelsätzen eine solche Welle auslösen, obwohl die Inflation in den Kernbereichen weitaus höher lag, hätte man erwarten können. Schließlich wurde schon Ende 2022 eifrig quergeschossen.
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Kritik an sachlichen Argumenten
Einer, der sich nicht am Bürgergeld-Bashing beteiligt, ist Professor Marcel Fratzscher. Für diese Haltung und auch für seinen aktuellen Gastbeitrag in der Tageszeitung „Die Welt“ erntet er massiv Kritik. Er möge sich schämen, er sei ein „Arschkriecher“ und seine Aussage, dass die Mehrheit der Bürgergeldempfänger gerne arbeiten würde, kommentiert „roteRosen_sindtoll“ auf „X“ (ehemals Twitter) mit:
„Aber Bürgergeld ist viel geiler, deswegen arbeiten die meisten dann doch nicht.“
Mythos 1: Bürgergeld ist höher als Lohn
Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie Menschen über das Bürgergeld und alle Betroffenen denken, die darauf angewiesen sind: zu viel Geld für Nichtstuer. Das ist einer von drei Mythen, mit denen Professor Fratzscher in dem Gastbeitrag aufräumt. Denn nach wie vor glauben viele, dass sie mit dem Bürgergeld deutlich mehr hätten als mit Arbeit. Widerlegt wurde dieser Aberglaube durch mehrere Musterrechnungen. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung weist für einen Single mit Mindestlohn 532 Euro mehr aus als beim Bürgergeld.
Viel wichtiger aber: Der Unterschied zwischen denen, die zum geringsten Arbeitseinkommen tätig sind und jenen, die einst Hartz IV bezogen und heute Bürgergeldempfänger sind, habe sich im Laufe der Jahre nicht verändert. Seit der Einführung 2015 sei der Mindestlohn um 46 Prozent, die sozialen Leistungen – also das aktuelle Bürgergeld – aber nur um 41 Prozent gestiegen.
Mythos 2: Arbeiten lohnt sich nicht
Punkt zwei auf der Liste: Wegen des zu geringen Lohnabstands möchte niemand mehr arbeiten.
„Diesem Argument liegt ein trauriges und auch falsches Menschenbild zugrunde“,
so Fratzscher. Arbeit sei sinnstiftend und Teil eines erfüllenden Lebens. Richtig sei auch, dass ein guter Lohn höhere Arbeitsanreize schaffe. Deshalb müsse der Mindestlohn angehoben, der Bereich der Minijobs reformiert, die Arbeitsbedingungen verbessert und die Transferentzugsrate verringert werden. Dann bleibe auch mehr Netto vom Brutto.
Mythos 3: Sanktionen als Mittel der Wahl
Abschließend greift der DIW-Präsident die Forderung nach strengeren Leistungsminderungen beim Bürgergeld auf. Menschen müssten nicht gezwungen werden, sich mehr zu bemühen. Das treffe nur auf wenige, aber nicht auf die große Mehrheit zu. Viele könnten aus gesundheitlichen Gründen, fehlender Qualifizierung oder einer unzureichenden Betreuungsstruktur für Kinder nicht arbeiten. Hinzu kämen zwei Millionen Betroffene, die trotz Arbeit auf zusätzliche soziale Leistungen angewiesen seien. Statt zu bestrafen, müsse daher mehr Wert auf die Befähigung und eine stufenweise Eingliederung in den Arbeitsmarkt gelegt werden.
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Betroffene werden stigmatisiert
Doch statt darauf einzugehen, würden Politiker immer wieder falsche Behauptungen tätigen und so auf Stimmenfang gehen. Damit spielten sie vulnerable Gruppen gegeneinander aus und stigmatisierten Bürgergeld Bedürftige. Professor Marcel Fratzscher ist davon überzeugt:
„Die überwältigende Mehrheit möchte arbeiten.“
Gleichzeitig fordert er eine sachliche Debatte. Dafür ist die Situation derzeit aber wohl viel zu aufgeheizt – wie die Kommentare beweisen.
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