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Symbolpolitik beim Bürgergeld? Totalsanktionen laufen ins Leere

Hubertus Heil bei einer BMAS Rede

Zum Jahresende 2023 stellte Arbeitsminister Hubertus Heil die Weichen für eine härtere Gangart gegen sogenannte „Totalverweigerer“ im Bürgergeld. Ein rigoroser Plan mit dem Ziel, durch mögliche 100%-Sanktionen Einsparungen von 170 Millionen Euro im Haushalt zu erreichen. Doch laut einer aktuellen Anfrage der Linken zeigt sich nun, dass dieser Plan nur auf dem Papier existiert – und die Realität eine andere ist. In einem Bericht der Welt, der eine Antwort aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) zitiert, wird deutlich, dass bisher keine statistischen Daten vorliegen, die eine tatsächliche Umsetzung dieser Totalsanktionen belegen.

Sanktionsmöglichkeiten ohne konkrete Umsetzung

Seit April 2024 können Jobcenter das Bürgergeld vollständig streichen, wenn ein Empfänger wiederholt die Aufnahme zumutbarer Arbeit grundlos verweigert oder einen Job grundlos kündigt. Doch bis heute gibt es keine Zahlen, die bestätigen, dass diese 100%-Sanktionen überhaupt zur Anwendung kamen. Auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Heidi Reichinnek antwortete das BMAS, dass „statistische Angaben hierzu nicht vorliegen.“ Diese Datenlücke wirkt auf Kritiker wie ein Scheingefecht, das politisch-medial inszeniert, aber nicht real umgesetzt wurde. Reichinnek kommentiert dies scharf: „Die Ampel macht Politik nicht basierend auf Fakten, sondern richtet ihr Fähnchen nach dem Wind.“

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Statistik offenbart Schwächen in der Umsetzung

Die fehlenden Daten haben Gründe, die auf den ersten Blick trivial erscheinen, jedoch eine ernsthafte Kontrolllücke aufzeigen. Jobcenter erfassen zwar Leistungskürzungen, jedoch nicht, wie oft und in welcher Höhe sie stattfinden. Stattdessen werden sämtliche Kürzungen in der Statistik gesammelt und als Gesamtzahl gemeldet – eine Unterscheidung zwischen moderaten Sanktionen und Totalsanktionen erfolgt nicht. Tatsächlich macht die Verweigerung von Jobangeboten ohnehin nur einen kleinen Bruchteil der gemeldeten Kürzungsfälle aus. Über 80 % der Fälle entstehen durch „Meldeversäumnisse“ wie verpasste Termine, während „Totalverweigerer“ lediglich eine Randgruppe bilden.

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Sparziele unrealistisch und kaum greifbar

Der fiskalische Effekt dieses „Knallhartplans“ bleibt damit fraglich. Laut Heil sollten die Sanktionen Einsparungen in Höhe von 170 Millionen Euro generieren, was jedoch nur knapp 0,1 % des Haushaltsvolumens seines Ministeriums ausmacht. Diese Summe könnte nur bei einem sehr hohen Sanktionsvolumen erreicht werden – laut Schätzung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands müssten rund 150.000 Bürgergeld-Empfänger jährlich sanktioniert werden, um das Ziel zu erreichen. In der Realität ist dies aufgrund der geringen Zahl tatsächlicher „Totalverweigerer“ jedoch kaum erreichbar.

Fehlende Daten und „präventive Wirkung“ als Argument

Im BMAS spricht man inzwischen von einer „präventiven Wirkung“ der Sanktionsmöglichkeiten. Allein die Androhung, die Sozialleistungen vollständig streichen zu können, solle das „Arbeitssuch- und -bereitschaftsverhalten“ positiv beeinflussen. Doch in der Praxis bleiben die tatsächlichen Einsparungen weiterhin ein Mysterium.

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Politik ohne Strategie? Kritik an der Ampel

Für Reichinnek bleibt die Politik der Ampel ein Zeichen von fehlender Strategie. Ihrer Ansicht nach wird ein überproportionaler Aufwand in die Verfolgung weniger Bürgergeld-Empfänger gesteckt, während diese medial als „Sündenböcke“ für wirtschaftliche Probleme hingestellt werden. Sie appelliert daher an das Bundesverfassungsgericht, die neue Sanktionspraxis auf Verhältnismäßigkeit zu prüfen und gegebenenfalls wieder rückgängig zu machen.

Titelbild: photocosmos1 / shutterstock