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Totalverweigerer? Weniger als ein 1% der Bürgergeld Bedürftigen in 2023 sanktioniert

Frau zeugt dumme Idee mit Bürgergeld Sanktionen Totalverweigerer

Bürgergeld Bedürftige werden gerne unter Generalverdacht gestellt, faul zu sein und sich auf Kosten der Steuerzahler einen lauen Lenz zu machen. Dieser Vorwurf, den insbesondere Union und FDP immer wieder in den Raum stellen, zerbröselt allerdings mit Blick auf aktuelle Zahlen. Denn von 3,9 Millionen erwerbsfähigen Betroffenen wurden im vergangenen Jahr nur 16.704 sanktioniert, weil sie sich geweigert haben, eine Arbeit, Ausbildung oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis anzunehmen oder fortzuführen. Das sind knapp 0,4 Prozent. Die übrigen 99,6 Prozent wären froh, nicht länger vom Jobcenter abhängig zu sein.

Totalsanktionierung für Arbeitsverweigerer

In Deutschland sind rund 5,5 Millionen Menschen auf das Bürgergeld angewiesen – teils auch neben einem Vollzeitjob. Als erwerbsfähig gelten insgesamt etwa 3,9 Millionen Bürgergeld Bedürftige. Ginge es nach CDU, CSU, FDP und auch der AfD, müsste jeder sofort einen x-beliebigen Job annehmen oder für die Gemeinde Unkraut zupfen. Ansonsten würden die Leistungen umgehend zu 100 Prozent gekürzt. Die Pläne der Regierung sind nicht ganz so streng: Sie droht Arbeitsverweigerern „nur“ für zwei Monate mit einer Totalsanktionierung auf den Regelbedarf, Kosten für Unterkunft und Heizung, Mehrbedarfe sowie Krankenversicherung werden nach wie vor gezahlt werden.

Das sagt die Statistik

Wer sich etwas näher mit den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) auseinandersetzt, erkennt ziemlich schnell: Das Tamtam um Arbeitsverweigerer, Leistungskürzungen und dem Ruf nach mehr Strenge betrifft nur einen winzigen Teil derer, die Bürgergeld erhalten. In Zahlen:

  • 16.704 Personen wurden im vorigen Jahr die Leistungen gekürzt, weil sie die Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“ verweigerten.
  • 2.056 Betroffene sind nicht zu einer Maßnahme angetreten, haben sie abgebrochen oder haben Anlass zum Abbruch gegeben.
  • 6.744 Leistungsempfänger betraf eine Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach dem SGB III.
  • 2.958 Personen erfüllten die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach dem SGB III.

Das sind in der Summe 28.462 Betroffene, denen rein theoretisch eine Totalsanktionierung bei einem wiederholten Pflichtverstoß drohen könnte und ein konkretes und zumutbares Arbeitsangebot auf dem Tisch liegt. Das wären dann 0,8 Prozent aller erwerbsfähigen Bürgergeld Bedürftigen.

Zum Vergleich: In 2023 wurden insgesamt 226.009 Sanktionen neu festgestellt. Die durchschnittliche Sanktionshöhe belief sich dabei auf 53,42 Euro monatlich.

Statistiken Bürgergeld Sanktionen 2013 bis 2023 (abgerufen April 2024)

Bei den oben genannten Daten handelt es sich um die aktuelle Rechtslage, die 2023 mit dem Bürgergeld eingeführt wurde. So können bei einem Regelverstoß gegen die Mitwirkungspflichten zehn Prozent des Regelsatzes für einen Monat, beim zweiten 20 Prozent für zwei Monate und dann 30 Prozent für drei Monate gestrichen werden. Bei Meldeversäumnissen sind es generell zehn Prozent für einen Monat. Die Totalsanktionen wurden erst Ende März 2024 eingeführt.

Vollsanktionen kaum durchsetzbar

Unabhängig der geringen Anzahl der Hilfebedürftigen, die überhaupt in Frage kommen würden: Interne Dokumente der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass es nahezu unmöglich ist, die neuen Sanktionen überhaupt durchzusetzen. Wir haben uns die Bedingungen zur Verhängung der neuen Sanktionen im Detail angeschaut:

Betroffene wollen arbeiten

Die mittlerweile beschlossene Regelung sieht vor, die Grenze nicht mehr bei 30-Prozent-Leistungsminderungen zu ziehen, sondern bei 100 Prozent für Totalverweigerer, um ein Zeichen zu setzen. Interessant daran: Die Bundesagentur für Arbeit und damit diejenigen, die Tag für Tag mit Bürgergeld Betroffenen zu tun haben, gehen nicht davon aus, dass aufgrund der Gesetzesänderungen mehr Menschen eine Totalsanktionierung droht. Dies hängt allerdings auch damit zusammen, dass die Hürden zur Durchsetzung einer Totalsanktion – also dem vollständigen Entzug des Regelbedarfs – sehr hoch sind.

Es geht um eine kleine Minderheit

Vielmehr gilt die Aussage, die auch auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu lesen ist: „Die allermeisten Menschen wollen arbeiten.“ Nur wenige verweigerten sich beharrlich. Das weiß auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Nur leider geht eine seiner Aussagen in der hitzigen Bürgergeld Debatte zu schnell unter:

„Es kann nicht sein, dass eine kleine Minderheit das ganze System in Verruf bringt.“

Eben: Eine Minderheit und nicht Millionen Menschen, wie von der Union propagiert.

Bild: Krakenimages.com/ shutterstock