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Urteil: Bürgergeld Freibetrag gilt auch bei einem Vorschuss

Frauenhände zählen Geldscheine

Ein Vorschuss des künftigen Arbeitgebers in Höhe von 355 Euro hat gleich drei Gerichte beschäftigt. Sie mussten klären, wie und wann der Betrag auf das Bürgergeld angerechnet wird und ob auch in dem Fall der Freibetrag für Erwerbseinkommen gilt. Das Ergebnis der Überlegungen beim Bundessozialgericht: Der Betrag muss in dem Monat berücksichtigt werden, in dem er zugeflossen ist und es gelten die Absetzbeträge auf das Erwerbseinkommen nach dem Bürgergeld-Gesetz (SGB II).

Job gefunden und direkt „bestraft“

Der Fall liegt schon ein paar Jahre zurück. 2015 war es, als der Kläger einen Job fand. Das meldete er dem Jobcenter. Aus dem Arbeitsvertrag ging hervor, dass der erste Lohn für Februar erst am 15. März gezahlt würde. Gleichzeitig gab es einen Vorschuss des Arbeitgebers in Höhe von 355 Euro – und damit begannen das Dilemma und die Reise durch die Gerichtssäle.

Bürgergeld & Minijob – was bleibt anrechnungsfrei?

Freibeträge nicht berücksichtigt

Denn: Das Jobcenter rechnete den gesamten Vorschuss als Einkommen an. Abgezogen wurde lediglich die Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro nach § 6 Bürgergeld-V. Kurzum: Der Mann sollte 325 Euro zurückzahlen. Hätte das Jobcenter die Einkommensfreibeträge berücksichtigt, wäre die Rückzahlung geringer ausgefallen:

204 statt 325 Euro Rückforderung

Nach § 11b SGB II gilt ein bis heute unveränderter Grundfreibetrag von 100 Euro. Darüber hinaus wären nach Absatz 3 weitere 20 Prozent des Restbetrages nicht angerechnet worden (20 Prozent von 255 Euro = 51 Euro). In der Summe hätten 151 Euro des Vorschusses anrechnungsfrei bleiben müssen und hätten nur 204 Euro zurückgefordert werden dürfen – so der Kläger. Daher wehrte er sich und bekam vor dem Sozialgericht Lübeck zunächst Recht.

Kläger beruft sich auf Monatsprinzip

Das Landessozialgericht wiederum erklärte, die Freibeträge seien nicht im Februar zu berücksichtigen, sondern erst im März – dem Monat, in dem das Gehalt fällig ist und eine Lohnabrechnung erstellt wurde. Das sah der Mann anders. Er berief sich auf das Monatsprinzip, wonach Einnahmen in dem Monat berücksichtigt werden, in dem sie zufließen (§ 11 Abs. 2 u. 3 SGB II). Darüber hinaus sind dem Wortlaut des Gesetzes in § 11b SGB II die Freibeträge in dem Monat zu berücksichtigen, in dem auch das Arbeitseinkommen – im vorliegenden Fall der Vorschuss durch den Arbeitgeber – zufließt.

Zufluss entscheidend

Dass es sich bei dem Vorschuss um ein Arbeitseinkommen handelt, daran gab es keine Zweifel. Zum Thema Zeitpunkt der Anrechnung und der Berücksichtigung der Freibeträge sprach dann das Bundessozialgericht ein Machtwort. Absetzungsbeträge sind demnach stets in dem Monat in Abzug zu bringen, in dem die Zahlung zufließt. Denn neben dem Zufluss- gebe es auch ein Abflussprinzip.

Freibeträge sollen Anreize schaffen

Bei Absetzbeträgen bei Erwerbstätigkeit sei „strikt dem (Kalender-) Monatsprinzip Rechnung zu tragen“. Das gelte auch für den Fall, dass die Abrechnung erst im Folgemonat vorliege. Das Jobcenter hat also falsch gehandelt. Dazu verwies das Bundessozialgericht auch noch einmal auf die Bedeutung der Freibeträge: Sie dienten der Verwaltungsvereinfachung. Und: „Dieser Freibetrag soll zudem, ebenso wie der besondere Erwerbstätigenfreibetrag, einen finanziellen Anreiz zur Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit schaffen, auch wenn diese nicht bedarfsdeckend ist.“ Dass die Freibeträge auch bei Vorabzahlungen durch den Arbeitgeber berücksichtigt werden, decke sich mit dem Ziel, Anreize zu bieten.

BVerfahrensgang:
Bundessozialgericht, 29.03.2022 – B 4 AS 24/21 R
Schleswig-Holsteinisches LSG, 23.10.2020 – L 3 AS 133/18
Sozialgericht Lübeck, 06.11.2018 – S 40 AS 658/16

Titelbild: megaflopp / shutterstock