Zum Inhalt springen

Urteil: Jobcenter darf Bürgergeld nicht mangels unnötiger Unterlagen ablehnen

Mann bearbeitet Akten am Schreibtisch

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat kürzlich entschieden, dass ein Antragsteller Bürgergeld-Regelleistungen erhalten muss, obwohl das zuständige Jobcenter seinen Antrag zunächst abgelehnt hatte. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass nicht alle geforderten Unterlagen vorgelegt worden seien, insbesondere solche, die die geschiedene Ehefrau des Klägers betreffen. Das Gericht stellte jedoch klar, dass die geforderten Unterlagen im konkreten Fall irrelevant waren.

Der Kläger, ein schwerbehinderter Mann (Grad der Behinderung von 80 mit Merkzeichen G und B), beantragte Bürgergeld-Regelleistungen ab dem 1. Dezember 2023, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Er lebt mit seiner geschiedenen Ehefrau, ebenfalls schwerbehindert (Grad der Behinderung von 100, Merkzeichen RF), in einer Bedarfsgemeinschaft, wobei beide Partner unter Betreuung stehen. Der Kläger, der zuvor in einer anderen Stadt Sozialhilfe nach dem SGB XII bezogen hatte, musste nach seinem Umzug in eine andere Stadt vorläufig Bürgergeld Regelleistungen beantragen.

Wer bekommt Bürgergeld?

Prüfung der Hilfebedürftigkeit

Das Jobcenter forderte im Rahmen des Antragsverfahrens eine Vielzahl von Unterlagen an, um die Hilfebedürftigkeit des Klägers zu prüfen. Neben den persönlichen Nachweisen des Klägers selbst, verlangte das Jobcenter auch Unterlagen, die seine geschiedene Ehefrau betrafen. Diese umfassten:

  • Kopie Personalausweis Partnerin
  • Nachweis Sozialversicherungsnummer (z.B. Kopie Sozialversicherungsausweis) von Ihnen und Partnerin
  • Mitgliedsbescheinigung Krankenkasse von Partnerin
  • Kopie Krankenkassenkarte von Ihnen und Partnerin
  • Nachweis Kindergeld von Ihnen
  • Nachweis Antragstellung Wohngeld Partnerin
  • letzter Bewilligungsbescheid und Aufhebungsbescheid Sozialhilfe von Ihnen
  • Nachweise sonstiges Einkommen (falls vorhanden)
  • (gegebenenfalls) Nachweis Höhe Kfz-Haftpflichtbeitrag und Kfz-Schein
  • (gegebenenfalls) Kopie Schwerbehindertenausweis Partnerin
  • Kontoauszüge ab 01.06.2023 bis 17.01.2024 aller Konten (inklusive Kreditkarten und Onlinebezahlsystemen z.B. Paypal) von Ihnen und Partnerin (auch Sparkonten! Ihre Partnerin hat diverse Konten aufgelöst und lässt monatliche Sparraten abbuchen)

Das Jobcenter argumentierte, dass ohne diese Informationen keine vollständige Prüfung der Bedürftigkeit des Klägers möglich sei, da beide in einer Bedarfsgemeinschaft leben und somit auch das Einkommen und Vermögen der geschiedenen Ehefrau relevant seien.

Jobcenter lehnt Anspruch ab

Da die geforderten Unterlagen der Ex-Frau nicht vollständig eingereicht wurden, lehnte das Jobcenter den Antrag auf Bürgergeld-Regelleistungen des Klägers ab. Es berief sich auf § 66 SGB I (Folgen fehlender Mitwirkung), wonach Leistungen verweigert werden können, wenn der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erschwert wird.

Bedürftige sollten „Nein“ vom Jobcenter nicht einfach akzeptieren

Der Kläger legte Widerspruch ein und beantragte beim Sozialgericht Gelsenkirchen einstweiligen Rechtsschutz, um dennoch die beantragten Leistungen zu erhalten. Das Sozialgericht lehnte den Antrag jedoch ab und folgte der Argumentation des Jobcenters. Es sah die Hilfebedürftigkeit des Klägers als nicht ausreichend nachgewiesen an, da vermeintlich wichtige Dokumente seiner geschiedenen Ehefrau fehlten.

Entscheidung des Landessozialgerichts

Der Kläger ging daraufhin in Berufung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Das LSG entschied zugunsten des Klägers und stellte fest, dass die vom Jobcenter verlangten Unterlagen der geschiedenen Ehefrau für die Bewilligung der Regelleistungen des Klägers tatsächlich nicht relevant waren. Der Kläger hatte die entscheidenden Dokumente, die seine eigene Hilfebedürftigkeit betreffen, fristgerecht eingereicht. Die Mitwirkungspflicht des Klägers erstreckte sich nicht auf Unterlagen, die keinen unmittelbaren Einfluss auf die Berechnung der ihm zustehenden Regelleistungen haben.

Sozialgericht: Ermessen darf keine Willkür des Jobcenters sein

Entsprechend hob das Gericht die Entscheidung des Sozialgerichts Gelsenkirchen und des Jobcenters auf und verpflichtete das Jobcenter, die beantragten Regelleistungen rückwirkend zu gewähren. Das LSG betonte, dass die Ablehnung der Leistungen durch das Jobcenter auf einer fehlerhaften Beurteilung beruhte. Der Versuch, die Ablehnung auf fehlende Unterlagen der geschiedenen Ehefrau zu stützen, sei unangemessen gewesen, da diese Dokumente für den Anspruch des Klägers selbst unerheblich waren.

Verfahrensgang:
LSG Nordrhein-Westfalen, Az L 21 AS 486/24 B ER und L 21 AS 487/24 B, 11.07.2024
SG Gelsenkirchen, Az. S 33 AS 310/24 ER, 04.03.2024

Titelbild: NIKCOA / shutterstock