Zu Zeiten von Corona haben viele Menschen ihren Job verloren. Um den Zugang zu Hartz IV, heute Bürgergeld, zu erleichtern, wurde für die ersten sechs Monate des Bezugs auf eine tiefgehende Vermögensprüfung verzichtet. Ausnahme: Es handelte sich um ein „erhebliches“ Vermögen. Der Begriff „erheblich“ hat jetzt das Landessozialgericht Baden-Württemberg beschäftigt, nachdem ein Jobcenter im Landkreis Ravensburg einen Antrag auf Hartz IV aufgrund des Vermögens abgelehnt hatte.
Vereinfachter Zugang zu Hartz IV
Die von der Regierung geschnürten Sozialschutz-Pakete sollten die Folgen der Coronapandemie abfedern. Im Hinblick auf das Arbeitslosengeld II wurde im März 2020 mit § 67 SGB II eine Hürde aus dem Weg geräumt: die Vermögensprüfung. Erst nach sechs Monaten sollte das Jobcenter im Rahmen des vereinfachten Zugangs genauer hinsehen, sofern kein erhebliches Vermögen vorlag. Gemäß den fachlichen Weisungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) galt dies ab einem Betrag von 60.000 Euro. Dabei nahm man Bezug auf das Wohngeldrecht, bei dem ab 60.000 Euro ebenfalls kein Anspruch mehr besteht. Das Gesetz selbst definierte nicht, wann es sich um ein „erhebliches“ Vermögen handelt.
Klare Vorgaben der BA
Ein weiteres Problem: Die Vorgaben der BA sind nur für Jobcenter bindend, die von der Kommune und der BA gemeinsam getragen werden. Bei den übrigen Kommunen spricht man von Optionskommunen, so wie im vorliegenden Fall im Landkreis Ravensburg. Dort hatte man die Antragsformulare der BA verwendet, mit dem Hinweis auf verwertbare Vermögen ab 60.000 Euro bei der ersten und 30.000 Euro bei jeder weiteren Person. Der Antragsteller, der vor Gericht zog, verneinte daher, über ein erhebliches Vermögen zu verfügen.
Jobcenter hält Vermögen für „offenkundig“ erheblich
Laut eingereichter Unterlagen betrug sein Vermögen 54.000 Euro zum Zeitpunkt des Hartz IV Antrags. Das Jobcenter war allerdings der Auffassung, dass es sich bei dieser Summe um ein im Einzelfall für jedermann offenkundig erhebliches Vermögen handle. Damit stand für die Behörde fest: Grundsicherungsleistungen seien trotz anderslautender fachlicher Hinweise nicht gerechtfertigt.
Gegen die Entscheidung des Jobcenter erhob der Antragsteller Klage beim Sozialgericht – mit Erfolg. Sowohl das Sozialgericht Konstanz als auch der 3. Senat des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg in Stuttgart stellten sich auf die Seite des damals Hartz IV Bedürftigen und stellten klar, dass dem Antragsteller die Hartz IV Leistungen mit dieser Begründung zu Unrecht verweigert wurden.
Beide betonten, dass sich aus dem Gesetzestext kein Grenzwert ergebe, wohl aber der Hinweis auf ein „wesentlich vereinfachtes Verfahren“ ohne die bei Erstanträgen sonst oft sehr aufwendige Vermögensprüfung.
Praktikabilität und Gleichheitsgrundsatz
Die Gerichte sahen – wie die BA – Parallelen zum Wohngeld. Den Begriff „erheblich“ so auszulegen, sei einem individuellen Grenzwert vorzuziehen, weil es praktikabler sei und den Gleichheitsgrundsatz berücksichtige. Würde man im Einzelfall entscheiden, ginge dies mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit einher und stünde dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung entgegen.
Der Erklärung des Jobcenters, dass aufgrund von bloßem Geldvermögen existenzsichernde Leistungen nicht gewährt werden, weil es für jedermann offenkundig sei, dass keine Hilfebedürftigkeit bestehe, widersprach das Gericht. Diese Einschätzung könne aufgrund fehlender Maßstäbe beispielsweise für ein Barvermögen von 40.000 Euro ebenso aber auch für 50.000 Euro gelten. Auch das entspreche nicht dem Gleichheitssatz.
Obergrenze beim Bürgergeld
Zur Information: Beim Bürgergeld ab 2023 darf während der Karenzzeit, den ersten zwölf Monaten, ein Vermögen von 40.000 Euro behalten werden – danach 15.000 Euro. Bei jeder weiteren Person der Bedarfsgemeinschaft sind es weitere 15.000 Euro.
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2023, Az.: L 3 AS 3160/21
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