Wissen Hartz IV Bedürftige womöglich nicht, wie man kostengünstig und effizient einkauft? Schätzen sie Lebensmittel zu wenig und schmeißen zu viel in die Tonne? Diesen Eindruck erweckt die ernährungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Rita Hagl-Kehl. Statt einkommensschwachen Haushalten angesichts der steigenden Preise zu helfen, scheint sie die Menschen lieber zu bevormunden.
Hintergrund: Lebensmittelpreise steigen immer weiter
Inzwischen vergeht kein Tag, an dem nicht über neue Preissteigerungen berichtet wird. Sonnenblumen- und Rapsöl waren im März bereits 72,3 Prozent teurer als im Vorjahr. Bei Butter lag die Teuerung bei 56 Prozent und bei Mehl bei über 33 Prozent. Für den gesamten Posten Nahrungsmittel liegt das Plus bei etwa 10 Prozent.
Viele Haushalte, neben Hartz IV Bedürftigen auch Rentner und Familien mit geringem Einkommen, können sich das nicht mehr leisten. Denn Sparen ist kaum möglich, wenn man schon am oder unter dem Existenzminimum lebt. Daher wird fleißig darüber gestritten, welche Schritte die Politik gehen müsste. Vorschläge gibt es viele.
Arme Haushalte wissen Lebensmittel nicht zu schätzen
Rita Hagl-Kehl von der SPD arbeitet bei ihrem „Tipp“, wie man den steigenden Kosten begegnen könnte, mit dem erhobenen Zeigefinger. Sie ist der Meinung, für gesunde Ernährung müsse kein höherer Preis gezahlt werden. Es brauche einfach nur mehr Wertschätzung für Lebensmittel. Ihr Ratschlag aus einem Interview mit dem Tagesspiegel:
„Wenn wir nicht zu viel, sondern effizient und durchdacht einkaufen und unsere Lebensmittel nicht wegwerfen oder verschwenden, werden wir uns auch eine gesunde Ernährung leisten können.“
Regelbedarf deckt keine gesundheitsfördernde Ernährung
Offenbar hat die Expertin ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Ihre Aussage wird durch mehrere Studien widerlegt. Beispiel: Der „Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“ kam im Juni 2020 im Gutachten „Politik für nachhaltigere Ernährung. Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten“ zu einem völlig anderen Schluss – und das zu einer Zeit, als die Inflation noch nicht durch die Decke ging:
„Die […] Analyse zeigt, dass die derzeitige Grundsicherung ohne weitere Unterstützungsressourcen nicht ausreicht, um eine gesundheitsfördernde Ernährung zu realisieren.“
Daher müssten sowohl die Berechnungsgrundlagen als auch die Berechnungsmethode für die Regelbedarfsermittlung überprüft werden. Wir haben seinerzeit über das Gutachten unter „Mangelernährung – Hartz IV macht krank“ berichtet.
Widerwärtig und überheblich
Der Gegenwind zu den Ernährungstipps ließ auch nicht lange auf sich warten. Hartz IV Kritikerin Inge Hannemann nennt die SPD-Expertin angesichts solcher Aussagen auf Twitter „widerwärtig“ und „überheblich“. Rita Hagl-Kehl meine, über Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, bestimmen zu können. Wer es richtig mache, könne auch in Armut noch Geld sparen. Doch genau das funktioniere nicht.
„Die Preise in den Märkten fliegen den Menschen um die Ohren. Ob mit oder ohne Grundsicherungen“,
so Inge Hannemann.
Was hilft: Mehrwertsteuer, Zuschlag und Co.
Neben dem Vorstoß aus der SPD gibt es auch Ansätze, die tatsächlich Entlastung versprechen. Diesbezüglich ist sich die Ampelkoalition aber nicht einig.
Mehrwertsteuer-Verzicht
Ein Vorschlag: Bei Lebensmitteln auf die Mehrwertsteuer verzichten. Dazu rät unter anderem Anne Markwardt, Leiterin des Teams Lebensmittel beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Sie warnt im Tagesspiegel: „Schon heute können sich Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, meist nicht gesund und ausgewogen ernähren.“
Auch Sozialverbände, die Linke und Agrarminister Cem Özdemir von den Grünen können sich vorstellen, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel temporär auszusetzen. Andere, so auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sehen darin eher eine Entlastung für besser situierte Haushalte.
Zuschuss für Hartz IV Bedürftige
DIW-Experte Alexander Kriwoluzky wirft stattdessen einen Zuschuss in den Ring. „Sinnvoll wäre eine einmalige Lebensmittelpauschale von 100 Euro für Transferempfänger.“ Ähnlich argumentiert auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Derlei Subventionen werden von der FDP jedoch abgelehnt, ebenso von der SPD. Denn, so Rita Hagl-Kehl: Es seien bereits „wichtige und effiziente Maßnahmen“ beschlossen worden, um Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, „die es am nötigsten brauchen“.
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