Bürgergeld ist Bürokratie pur. Das weiß jeder, der schon einmal damit zu tun hatte. Was aber viel schlimmer ist: Selbst die Jobcenter scheinen mit dem Regelwerk rund um die Grundsicherung überfordert zu sein. Vielen der Widersprüche gegen Bürgergeld Bescheide wird stattgegeben, weil die Mitarbeiter in den Jobcentern ihr Handwerk nicht verstehen und die rechtlichen Grundlagen falsch anwenden.
Jobcenter kehren Bürgergeld Beschwerden unter den Teppich
2024: über 420.000 Widersprüche
Jeder hat das Recht, Widerspruch einzulegen, wenn er der Meinung ist, dass die Berechnungen rund um das Bürgergeld fehlerhaft oder Sanktionen nicht gerechtfertigt sind. Das ist voriges Jahr 423.357-mal geschehen. In fast 34 Prozent der Fälle wurde dem Widerspruch ganz oder zumindest teilweise stattgegeben – also faktisch jedem dritten Widerspruch.
Fehlerhafte Rechtsanwendung
Dabei sticht hervor, dass nahezu ein Drittel der stattgegebenen Widersprüche (40.792 bzw. 29,77 Prozent) auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruhen. Bezogen auf die Gesamtzahl der Widersprüche ergibt sich eine Quote von 9,64 Prozent bzw. fast jeder neunte Widerspruch. Knapp 20 Prozent der teilweise oder ganz stattgegebene Widersprüche beruht auf unzureichender Sachverhaltsaufklärung oder Dokumentationsproblemen.
Mangel an Qualifikation?
Denn fehlerhafte Rechtsanwendung oder unzureichende Sachverhaltsaufklärung und Dokumentationsprobleme heißt, dass die Jobcenter den rechtlichen Rahmen des Bürgergeld Systems nur unzureichend kennen. Anders lassen sich diese Fehler nicht erklären, vielleicht noch mit Lustlosigkeit. Dabei ist es die Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch die Feinheiten von Bürgergeld zu kennen – oder sich zumindest in jedem einzelnen Fall damit zu befassen.
Bis zu 100 Prozent Fehlerquote
Dank der Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigt sich, in welchen Jobcentern am meisten geschludert wird. Hier liegt der Anteil der Widersprüche, denen wegen fehlerhafter Rechtsanwendung stattgegeben wird, teilweise bei 100 Prozent und dies auch über Monate hinweg. Die entsprechenden Statistiken liegen unserer Redaktion vor.
Es geht um das Existenzminimum
Das darf nicht sein. Schließlich geht es hier um nicht mehr und nicht weniger als das Existenzminimum – das durch die Grundsicherung ohnehin nur bedingt gewährleistet wird. Da kann jeder Euro weniger, weil jemand falsch gerechnet hat, fatale Folgen haben.
Vertrauen geht verloren
Da ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere Betroffene – also Bürgergeld Bedürftige – nur wenig bis gar kein Vertrauen mehr in die Jobcenter haben. Mit jeder Fehlentscheidung geht Vertrauen verloren und wächst die Angst, auch beim nächsten Bescheid erneut Widerspruch einlegen zu müssen. Die hohe Fehlerquote der Jobcenter führt dazu, dass die Kosten für diese Verfahren in die Höhe schießen und unnötig viel Personal binden, welches an anderer Stelle als der Widerspruchsabteilung nötiger wäre. Ein weiterer Aspekt ist zudem, dass Betroffene schon aus Gewohnheit oder der Erfahrung aus der Vergangenheit ein Widerspruchsverfahren eröffnen. Von den Kosten für Anwälte, die mit diesen Verfahren betraut werden, ganz zu schweigen.
Darum wird Widersprüchen stattgegeben
Denn es gibt noch einige weitere Gründe, warum Widersprüche Erfolg haben. Hier die Übersicht aus Dezember 2024:
- Nachgereichte Unterlagen, nachgeholte Mitwirkung, neuer Sachvortrag: 45,1 Prozent
- Fehlerhafte Rechtsanwendung: 30,0 Prozent
- Unzureichende Sachverhaltsaufklärung oder Dokumentationsprobleme: 22,1 Prozent
- Neue bzw. geänderte Rechtsprechung oder Weisungslage, Gesetzesänderung: 2,0 Prozent
Titelbild: Ollyy / shutterstock