Hartz IV ist Bürokratie pur. Das weiß jeder, der schon einmal damit zu tun hatte. Was aber viel schlimmer ist: Selbst die Jobcenter scheinen mit dem Regelwerk rund um die Grundsicherung überfordert zu sein. Über elf Prozent der Widersprüche gegen Hartz IV Bescheide wird stattgegeben, weil die Mitarbeiter in den Jobcentern ihr Handwerk nicht verstehen und die rechtlichen Grundlagen falsch anwenden.
2021: über 439.000 Widersprüche
Jeder hat das Recht, Widerspruch einzulegen, wenn er der Meinung ist, dass die Berechnungen rund um Hartz IV fehlerhaft oder Sanktionen nicht gerechtfertigt sind. Das ist voriges Jahr 439.871-mal geschehen. In fast 35 Prozent der Fälle wurde dem Widerspruch ganz oder zumindest teilweise stattgegeben – also faktisch jedem dritten Widerspruch.
Fehlerhafte Rechtsanwendung
Dabei sticht hervor, dass nahezu ein Drittel der stattgegebenen Widersprüche (50.521 bzw. 32,9 Prozent) auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruhen. Bezogen auf die Gesamtzahl der Widersprüche ergibt sich eine Quote von 11,5 Prozent bzw. fast jeder neunte Widerspruch. 20,8 Prozent der teilweise oder ganz stattgegebene Widersprüche beruht auf unzureichender Sachverhaltsaufklärung oder Dokumentationsproblemen.
Mangelt es an Qualifikation?
Denn fehlerhafte Rechtsanwendung oder unzureichende Sachverhaltsaufklärung und Dokumentationsprobleme heißt, dass die Jobcenter den rechtlichen Rahmen des Hartz IV Systems nur unzureichend kennen. Anders lassen sich diese Fehler nicht erklären, vielleicht noch mit Lustlosigkeit. Dabei ist es die Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch die Feinheiten von Hartz IV zu kennen – oder sich zumindest in jedem einzelnen Fall damit zu befassen.
Teilweise bis zu 100 Prozent Fehlerquote
Dank der Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt sich, in welchen Jobcentern am meisten geschludert wird. Hier liegt der Anteil der Widersprüche, denen wegen fehlerhafter Rechtsanwendung stattgegeben wird, teilweise bei 100 Prozent und dies auch über Monate hinweg. Die entsprechenden Statistiken liegen unserer Redaktion vor.
Es geht um das Existenzminimum
Das darf nicht sein. Schließlich geht es hier um nicht mehr und nicht weniger als das Existenzminimum – das durch die Grundsicherung ohnehin nur bedingt gewährleistet wird. Da kann jeder Euro weniger, weil jemand falsch gerechnet hat, fatale Folgen haben.
Vertrauen geht verloren
Da ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere Betroffene – also Hartz IV Bedürftige – nur wenig bis gar kein Vertrauen mehr in die Jobcenter haben. Mit jeder Fehlentscheidung geht Vertrauen verloren und wächst die Angst, auch beim nächsten Bescheid erneut Widerspruch einlegen zu müssen. Die hohe Fehlerquote der Jobcenter führt dazu, dass die Kosten für diese Verfahren in die Höhe schießen und unnötig viel Personal binden, welches an anderer Stelle als der Widerspruchsabteilung nötiger wäre. Ein weiterer Aspekt ist zudem, dass Betroffene schon aus Gewohnheit oder der Erfahrung aus der Vergangenheit ein Widerspruchsverfahren eröffnen. Von den Kosten für Anwälte, die mit diesen Verfahren betraut werden, ganz zu schweigen.
Darum wird Widersprüchen stattgegeben
Denn es gibt noch einige weitere Gründe, warum Widersprüche Erfolg haben. Hier die Übersicht aus 2021:
- Nachgereichte Unterlagen, nachgeholte Mitwirkung, neuer Sachvortrag: 42,0 Prozent
- Fehlerhafte Rechtsanwendung: 32,9 Prozent
- Unzureichende Sachverhaltsaufklärung oder Dokumentationsprobleme: 20,8 Prozent
- Neue bzw. geänderte Rechtsprechung oder Weisungslage, Gesetzesänderung: 3,4 Prozent
Die Zukunft: das Bürgergeld
Viele hoffen jetzt auf das Bürgergeld und ein etwas weniger kompliziertes Sozialsystem. Doch das dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Bereits durch die Kindergrundsicherung sind neue Zahlenspiele nötig. Leistungen werden auf der einen Seite gebündelt und müssen auf der anderen Seite herausgerechnet werden. Da darf man gespannt sein, wie sich die Zahl der Widersprüche entwickelt.
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