„Mitarbeiter gesucht“ klebt inzwischen bei fast jedem Handwerksbetrieb auf den Fahrzeugen. Zig offene Stellen, für die händeringend Arbeitskräfte gesucht werden. Trotzdem sind knapp 5,5 Millionen Menschen in Deutschland auf das Bürgergeld angewiesen. In der klassischen Stammtisch-Logik lautet die Antwort auf diese Diskrepanz: Bürgergeld-Empfänger wollen gar nicht arbeiten. Richtig wäre indes, dass viele nicht arbeiten können oder arbeiten und trotzdem Bürgergeld benötigen. Ein Jobcenter-Chef klärt auf.
Arbeitslosigkeit und Hilfebedürftigkeit
Thomas Lenz ist Chef des Wuppertaler Jobcenters. Gegenüber der Tagesschau hat er sich dazu geäußert, warum Millionen Menschen keiner Arbeit nachgehen (können). Allein in seiner Region ist inzwischen jeder siebte auf Bürgergeld und Leistungen vom Jobcenter angewiesen. Betroffene einfach auf die Stellenangebote hinzuweisen, wäre jedoch viel zu kurz gegriffen.
Politik hält Bürgergeld Bezieher für faul
Aufstocker & Co.
Nimmt man die o.g. Zahl von 5,5 Millionen auseinander, bleiben laut Thomas Lenz nur 1,7 Millionen Personen, die tatsächlich „arbeitslos“ sind. Überdies handele es sich um Kinder, Jugendliche sowie Bürgergeld-Bedürftige, die Kinder oder Angehörige betreuen, und daher allesamt „dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen“. Plus all jene, die sich Tag für Tag abmühen und dennoch mit Bürgergeld aufstocken müssen, weil der Lohn nicht zum Leben reicht.
Laut aktuellen Erhebungen von Statista erhielten im Juli 2024 knapp 5,55 Millionen Menschen Bürgergeld, davon 4,02 Millionen erwerbsfähige und 1,53 Millionen nicht erwerbsfähige Personen. Quelle
Keine Chance am ersten Arbeitsmarkt
Der Pool von 1,7 Millionen möglichen Arbeitskräften bietet Bürgergeld-Hetzern allerdings nach wie vor reichlich Grund, von der sozialen Hängematte zu sprechen. Dabei wird jedoch übersehen oder verdrängt, dass unter dem Strich nur wenige für den ersten Arbeitsmarkt infrage kommen. Auf dieses Problem weist der Arbeitsmarktökonom Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft hin.
Über 100.000 Arbeitsunwilligen sollen Leistungen gestrichen werden
Langzeitarbeitslosigkeit macht krank
Der Jobcenter-Chef kennt die Situation. 80 Prozent der Betroffenen hätten keinen Schulabschluss oder keine Berufsausbildung. Viele könnten aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht arbeiten. Daraus ergebe sich bisweilen ein Teufelskreis, weiß Thomas Lenz: „Langzeitarbeitslosigkeit macht krank und grenzt betroffene Menschen aus der Gesellschaft aus.“ Er hofft, dass mit dem Bürgergeld jetzt mehr Möglichkeiten bestehen, Menschen zu qualifizieren, statt sie einfach nur in einen Job zu stecken.
Es gibt kein Patentrezept
Denn eines gilt nach wie vor, so Holger Schäfer: Das Ziel der Sozialpolitik müsse sein, „Menschen zu befähigen, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten“. Das sei nur durch Arbeit möglich. Allerdings gebe es kein Patentrezept, wie man Arbeitslosigkeit reduzieren könne. Wohl aber Ansätze und Vorschläge, wie man sich besser für die Zukunft rüsten kann.
Arbeitsanreize – Statt Bürgergeld nur noch Sachleistungen
Fairer Lohn und bessere Bildung
Dazu müsse man sich, so Thomas Lenz, den „tieferen Ursachen zuwenden“. Und da fallen ihm gleich mehrere Punkte ein. Das Schulsystem müsse reformiert werden, denn ohne Bildung bleibe der Arbeitsmarkt schwierig. Darüber hinaus sei es dringend nötig, über gerechte Löhne zu sprechen und den Wert der Arbeit in der Gesellschaft wieder mehr zu schätzen. Kurzum: Es seien grundlegende Änderungen nötig.
Nach unten treten ist leichter
Damit dürfte eines klar sein: Ganz so einfach ist es nicht, die Probleme am Arbeitsmarkt auf Bürgergeld-Bedürftige abzuwälzen und sie allesamt als faul abzustempeln. Doch der Tritt nach unten fällt vielen leichter als der nach oben.
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