Auf der Straße oder der Couch von Bekannten leben, statt Bürgergeld zu beantragen. Für viele nicht vorstellbar oder gar lächerlich. Doch es sind weit mehr Menschen, die aus Angst vor dem Amt und der Bürokratie wohnungslos sind, als man gemeinhin annehmen möchte. In Göttingen dürften es 400 sein. Ein Schlag ins Gesicht für alle Ampelpolitiker, die Augenhöhe, sozialen Wohnungsbau und weniger Bürokratie versprechen, um dann tatenlos zusehen, wie immer mehr Menschen armutsbetroffen und schlimmstenfalls obdachlos werden.
Behördengänge als zu hohe Hürde
Der Sozialstaat spielt dabei eine entscheidende, leider aber auch traurige Rolle. Das hat eine Studie des Göttinger Uni-Professors und Soziologen Timo Weißhaupt ergeben. Er hat mit Experten und Betroffenen über die Gründe von Wohnungs- und Obdachlosigkeit gesprochen. Armut, zu hohe Mieten und traumatisierende Ereignisse stehen in diesem Kontext in einer Reihe mit der Bürokratie und der Angst vor den Behörden – etwa um den Bürgergeld Antrag zu stellen.
Sozialarbeiter kennen die Probleme
Ein solcher Antrag umfasse viele Seiten. Zudem müssten Nachweise erbracht werden. Betroffene seien oft nur mit Hilfe von Sozialarbeitern in der Lage, diese Papiere auszufüllen. Behördengänge stellten für viele eine zu hohe Hürde dar. Mit dieser Aussage steht Timo Weißhaupt nicht allein auf weiter Flur. Melanie Bornemann von der Diakonischen Gesellschaft Wohnen und Beraten in Göttingen kann ein Lied davon singen. Dabei spielen viele Faktoren zusammen: Teils sei es die Sprache, viele hätten soziale Schwierigkeiten, könnten sich vielleicht nicht richtig ausdrücken. Und wenn Unterlagen fehlten, werde die Leistung aufgrund fehlender Mitwirkung direkt verweigert.
Forderung: Bürokratie abbauen
Die Sorge, dass Anträge nicht genehmigt werden, oder die Scham, sich als wohnungslos outen zu müssen, führen schlussendlich dazu, dass man es erst gar nicht probiert. Timo Weißhaupt fordert daher ein Hilfesystem, bei dem bürokratische Hürden abgebaut werden und mehr auf Betroffene zugegangen wird. Denn das Problem verschärft sich zusehends. Die Landesarmutskonferenz spricht angesichts der Wohnungslosigkeit von einem „gesellschaftlichen Teufelskreis“.
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Politik sorgt sich zu wenig
Nun kann man sicherlich nicht nur der Politik zur Last legen, dass Menschen obdachlos sind. Man darf Politikern wie dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD), jedoch vorwerfen, dem Problem nicht entschieden genug entgegenzutreten. Warme Worte helfen niemandem, eine warme Suppe schon – nur so als Beispiel.
Weg mit dem Bürokratiemonster
Vor allem aber müsste man Menschen die Angst vor der Bürokratie und Ämtern wie dem Jobcenter nehmen. Hubertus Heil selbst war es, der bei Hartz IV von einem Bürokratiemonster sprach. Mit dem Bürgergeld hat man es aber keineswegs gezähmt oder ihm die Zähne gezogen. Wenn von Bürokratieabbau die Rede ist, dann nur mit Blick auf die Belastung der Jobcenter-Mitarbeiter. Ob Betroffene den Papierwust verstehen, kümmert bis auf Sozialarbeiter niemanden.
Viel zu kompliziert
Da nützt es auch nichts, wenn die FDP immer wieder auf Digitalisierung drängt. Menschen auf der Straße ist damit nicht geholfen. Die mit der Einführung des Bürgergelds versprochene Augenhöhe, der gegenseitige Respekt: Das wäre ein erster Schritt. Doch an all dem mangelt es. Dabei geht es längst nicht nur ums Bürgergeld oder Obdachlose. Familien, Rentner – viele lassen Hilfen ungenutzt, weil sie entweder nicht darüber informiert werden oder weil die Anträge zu kompliziert sind. So gleicht der Sozialstaat teils eher einem Moloch, denn einer fürsorglichen Mutter.
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