Streit ist beim Bürgergeld leider an der Tagesordnung. Da landen Meinungsverschiedenheiten um 20 Euro für ein Zirkusprojekt auch schon mal vor dem Bundessozialgericht. Das verschlingt viel Zeit und noch mehr Geld. Vielleicht ist dies einer der Gründe, weshalb die Ampelregierung im Rahmen des Bürgergelds ein Schlichtungsverfahren geschaffen hat. Dieser Baustein soll die viel zitierte Augenhöhe suggerieren, ist allerdings nur für den Kooperationsplan relevant. Welche Vor- und Nachteile hat das?
Grundlage: § 15a SGB II
Das Schlichtungsverfahren beim Bürgergeld findet sich in § 15a des SGB II. Vier Absätze, die eher knapp Auskunft darüber geben, wie im Fall der Fälle agiert werden soll und worum es überhaupt geht:
„Ist die Erstellung oder die Fortschreibung eines Kooperationsplans aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen Agentur für Arbeit oder kommunalem Träger und leistungsberechtigter Person nicht möglich, so soll auf Verlangen einer oder beider Seiten ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden.“
Streitigkeiten um den Kooperationsplan
Entscheidend ist der erste Teil des ersten Satzes: Das Schlichtungsverfahren kommt nur dann zum Einsatz, wenn ein Streit um die erstmalige Erstellung des Kooperationsplans oder aber um dessen Fortschreibung entbrennt. Der Kooperationsplan definiert in einfacher und verständlicher Form die Ziele und entsprechenden Maßnahmen und ersetzte die Eingliederungsvereinbarung aus Hartz-IV-Zeiten, die Bürgergeld-Empfängern den Weg (zurück) ins Arbeitsleben ermöglichen sollen. Das können Schulungen sein oder aber ganz gezielt Bewerbungen in bestimmten Bereichen.
Regelsatz und Co. bleiben außen vor
Das heißt: Es geht einzig und allein um den Kooperationsplan. Er dient, so die Aussage der Regierung, zwar als roter Faden beim Bürgergeld, ist aber nicht die einzige Facette, bei der Streit droht. Regelsatz, Hinzuverdienst, Mehrbedarfe oder die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) dürfen indes nicht zum Anlass für das in § 15a verankerte Schlichtungsverfahren genommen werden. Hier lautet der Weg auch weiterhin: Widerspruch, gegebenenfalls Klage – und viel Geduld, weil die Justiz bereits jetzt völlig überfordert ist.
Wer kann das Schlichtungsverfahren einleiten?
Da beim Bürgergeld immer zwei Parteien beteiligt sind – der Leistungsberechtigte und die Integrationsfachkraft – können beide Seiten ein Schlichtungsverfahren verlangen. Auch das gehört zur Augenhöhe. Letztendlich müssen beide Seiten mit dem Kooperationsplan einverstanden sein. Denn: Die Pläne sollen dazu dienen, wieder Fuß zu fassen, gleichzeitig aber auch die persönlichen Umstände der Person berücksichtigen, die auf Hilfe angewiesen ist. Fühlt sich eine Seite überfordert oder sieht die andere keine Bereitschaft zur Mitarbeit, droht der Drahtseilakt zu scheitern. Das zu verhindern, ist Aufgabe der Schlichtung.
Darf ein Schlichtungsverfahren abgelehnt werden?
Hat das Jobcenter den Eindruck, dass ein Schlichtungsverfahren nur dazu genutzt wird, um Abläufe zu verzögern, kann der Antrag auch abgelehnt werden. Laut Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit (BA) erfolgt eine solche Absage über einen „anfechtbaren Verwaltungsakt“.
Birgt das Verfahren Nachteile für Bürgergeldempfänger?
Die fachlichen Weisungen machen allerdings auch deutlich:
„Unabhängig davon, welche Seite das Schlichtungsverfahren einleitet, dürfen daraus keine Nachteile für die Leistungsberechtigten entstehen.“
Die Integrationsstrategie soll weiter umgesetzt werden. Falls Fahrtkosten zu den Schlichtungsterminen entstehen, werden diese auf Antrag übernommen.
Drohen Leistungsminderungen?
Die Angst, durch das Schlichtungsverfahren mit Leistungsminderungen – die zu Zeiten von Hartz IV noch Sanktionen hießen – konfrontiert zu werden, ist unbegründet: Der Gesetzgeber verbietet in § 15a Absatz 3 des SGB II, die Leistungen während des Schlichtungsverfahrens zu kürzen.
Informationspflicht des Jobcenters
Wichtig für jeden, der neu im Bürgergeld ist: Das Jobcenter muss Betroffene darüber informieren, dass im Kontext des Kooperationsplans die Möglichkeit besteht, bei strittigen Punkten ein Schlichtungsverfahren einzuleiten. Diese Informationspflicht geht aus § 14 Abs. 2 Satz 3 SGB II (Neufassung ab 01.07.2023) hervor. Deshalb rät die BA, Leistungsempfänger schon im ersten Beratungsgespräch über das Schlichtungsverfahren in Kenntnis zu setzen. Dazu gibt es einen Flyer, der alle wichtigen Punkte vom Kooperationsplan bis zu den Mitwirkungspflichten umfasst.
Wenn Bürgergeldempfänger das Verfahren ablehnen
Für den Fall, dass ein Bürgergeld-Bedürftiger nicht mit dem Schlichtungsverfahren einverstanden ist, greift § 15 Absatz 6 SGB II:
„Wenn ein Kooperationsplan nicht zustande kommt oder nicht fortgeschrieben werden kann, erfolgen Aufforderungen zu erforderlichen Mitwirkungshandlungen mit Rechtsfolgenbelehrung.“
Kurzum: Das bestimmt das Jobcenter, welche Maßnahmen nötig sind, und darf sie unter Androhung von Sanktionen auch durchsetzen.
Schlichtungsverfahren – Ablauf und Schlichter
Kommt man bei der Erarbeitung des Kooperationsplans auf keinen grünen Zweig, empfiehlt die BA, unverzüglich einen Termin bei der Schlichtungsperson zu vereinbaren. Das Verfahren darf laut Gesetz maximal vier Wochen dauern. Die Frist beginnt drei Tage, nachdem die Einladung zum ersten Gespräch verschickt wurde.
So unbürokratisch wie möglich
Der Ablauf soll so unbürokratisch wie möglich und das Verfahren ortsnah und niedrigschwellig sein. Wichtig ist, dass beide Seiten angehört werden. Der Schlichter kann, muss aber keinen eigenen Lösungsvorschlag einbringen. Wenn, handelt es sich lediglich um eine Anregung, aber keinesfalls um ein in Stein gemeißeltes Ergebnis.
Das Ziel ist und bleibt, einen gemeinsamen Lösungsvorschlag zu erarbeiten, und zwar im gegenseitigen Einvernehmen. Wird daraufhin ein Kooperationsplan erstellt, haben sich das Jobcenter und der Bürgergeld-Bedürftige daran zu halten.
Methodische Vorgehen
Der empfohlene Ablauf:
- Information darüber, dass ein Schlichtungsverfahren eingeleitet wurde.
- Klärung der Meinungsverschiedenheiten und Strukturierung der Themen.
- Wünsche, Bedürfnisse und Emotionen darstellen.
- Sammeln von Kriterien für einen Lösungsvorschlag.
- Bewertung der Lösungsoptionen.
- Erstellung eines gemeinsamen Lösungsvorschlags.
Wer darf schlichten?
Wer dabei als Schlichter zum Einsatz kommen darf, regelt ebenfalls § 15a SGB II: Das Verfahren erfolgt
„unter Hinzuziehung einer bisher unbeteiligten und insofern nicht weisungsgebundenen Person innerhalb oder außerhalb der Dienststelle“.
Die jeweilige Person darf bislang nicht mit der Betreuung des Leistungsberechtigten betraut gewesen sein – das ist vor allem dann relevant, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Jobcenters die Schlichtung übernimmt. Zudem darf die Person nicht weisungsgebunden sein – diese Weisungsfreiheit muss von der Geschäftsführung des Jobcenters oder der Arbeitsagentur erteilt werden. Sinn und Zweck: Interne Schlichtungspersonen sollen unparteiisch handeln. Wichtig in dem Kontext: Der Schlichter hat keine Akteneinsicht.
Welche Aufgaben hat die Schlichtungsperson?
Personen, die ein Schlichtungsverfahren beim Bürgergeld leiten, sollen unvoreingenommen und unparteiisch Gespräche führen und die Kommunikation der beiden beteiligten Parteien fördern. Dazu dürfen – wie bereits erwähnt – auch eigene Lösungsvorschläge gemacht werden.
Voraussetzungen einer Schlichtungsperson
Um beim Bürgergeld-Kooperationsplan schlichten zu dürfen, sollte man Problemlösungsfähigkeiten haben, ebenso sozial-kommunikative und Konfliktmanagement-Kompetenzen. Erforderlich sind laut BA auch Kenntnisse der Integrationsarbeit und des regionalen Arbeitsmarktes sowie der Rechtsgrundlagen.
Was passiert bei einem Scheitern des Verfahrens?
Wenn die Positionen von Anfang an dermaßen verhärtet sind, dass auch innerhalb von vier Wochen keine Lösung gefunden wird, gilt das Schlichtungsverfahren als gescheitert. Dann greift § 15 Absatz 6. Gemäß den fachlichen Weisungen heißt das:
„Aufforderungen zu Mitwirkungshandlungen oder zum persönlichen Erscheinen erfolgen anschließend grundsätzlich mit Rechtsfolgenbelehrung.“
Bedeutet im Klartext, dass es sich mit der Freiwilligkeit erledigt hat, denn die Rechtsfolgenbelehrung berechtigt das Jobcenter, bei Nichteinhaltung der Mitwirkungshandlungen oder Meldeversäumnissen Sanktionen zu verhängen.
Ein neues Schlichtungsverfahren kann dann erst eingeleitet werden, wenn ein bestehender Kooperationsplan fortgeschrieben wird. Man ist also darauf angewiesen, dass überhaupt ein Kooperationsplan zustande kommt. Anderenfalls erfolgen alle Maßnahmen „von oben herab“.
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